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Betr.: "Was sollen wir wollen?" von Joschka Fischer, taz vom 13.1.94

Der gehabte Alptraum hat bei Joschka Fischer offenbar so intensive Wirkungen gezeitigt, daß ihm die Antworten auf ein paar ganz simple, aber politisch unverzichtbare Fragen nicht einfallen.

Wenn er Finanzierbarkeit als Prämissen für eine Regierungsbeteiligung benennt, ist das in peinlicher Weise trivial. Wenn Politik einen Sinn machen soll, muß sie in der Realität ihren Ausgangspunkt haben – wo denn sonst? Nur: das gilt nicht bloß für die Regierungsbeteiligung, sondern in gleicher Weise für die Opposition.

Allerdings besteht die Aufgabe in der Opposition nicht nur darin, seriöse, sauber durchgerechnete und konstruktive Alternativen anzubieten sowie die kleinen und großen Schweinereien der anderen transparent und öffentlich zu machen, sondern vor allem in dem Versuch, das gesellschaftliche Bewußtsein zu verändern und so die Akzeptanz oder die gar ohnehin schon vorhandenen Forderungen nach Veränderungen zu befördern. Gerade das ist in den achtziger Jahren den West-Grünen in sehr eindrucksvoller Weise gelungen. Fischer scheint das vergessen zu haben, sonst könnte er nicht mit soviel Unverfrorenheit behaupten, „gestalten“ könne man nur in der Regierungsverantwortung.

Die beiden anderen Zauberworte bei Fischer, Erfolgsorientierung und Mehrheitsfähigkeit, in Verbindung mit der sachlich falschen Unterstellung, nur so könne etwas bewegt werden, zeigen – vermutlich ungewollt – worum es eigentlich geht: Um die Teilhabe an der Macht.[...]

Tatsache ist, daß für den offenbar so übermächtigen Drang zur Regierungsbeteiligung die Begründung noch immer nicht gegeben worden ist. Tatsache ist auch, daß Joschka Fischer sich in seinem Beitrag um die Antwort auf die für die Bündnisgrünen existentiell wichtigste Frage herumgedrückt hat: Wo sind die Grenzen bei den im Rahmen von Koalitionsverhandlungen notwendigen Schritten auf die SPD zu? Worin besteht der identitätsdefinierende und nicht verhandelbare Kern bündnisgrünen Selbstverständnisses? Wie soll in der Juniorpartnerschaft mit der SPD (etwas anderes ist selbst bei größtem Optimismus nicht drin!) ein derartig tiefgreifender Umbau der Gesellschaft in ökonomischer, ökologischer, sozialer und demokratischer Hinsicht (dazu gehört auch die sogenannte Geschlechterfrage), wie er dringend notwenig ist und wie ihn Bündnis 90/Die Grünen fordern, in Gang gebracht werden? Bis jetzt ist die Bereitschaft der SPD zu wirklich konsequenten Schritten außerordentlich gering bzw. auf wesentlichen Gebieten schlichtweg nicht vorhanden. Angesichts der Fixierung von durchaus meinungsbildenden Teilen der Partei auf die zwar nicht unmögliche, aber doch eher unwahrscheinliche Regierungsbeteiligung, stellt sich mir schon die Frage, wie weit der Realitätsverlust der „Realos“ schon gediehen ist.

Noch ein Wort zu den Umgangsformen: Die Aggressivität, mit der Fischer auf andere Auffassungen reagiert („...abgestandener Flügelquatsch von vorgestern...“) ist ein Indiz für einen Mangel an Souveränität und zugleich ein weiteres Beispiel dafür, daß es eine Streitkultur in dieser Partei erst noch zu entwickeln gilt. Wenn stattdessen Ausgrenzungen gewollt und eingeleitet sowie Denkverbote verhängt werden, ist das mit tödlicher Sicherheit das Ende der kreativen Potenz einer Partei.

Auch der Gepflogenheit, daß die einen für sich die Bezeichnung „RealpolitikerInnen“ reklamieren und die anderen damit nahezu automatisch der Realitätsverweigerung bezichtigen, haftet etwas Denunziatorisches an. Es gibt halt verschiedene Möglichkeiten, Kommunikationen zu blockieren...

Der Unterschied zwischen den „Strömungen“ in der Partei besteht nicht darin, daß die „Praktikabilität“ politischer Ansätze auf der einen Seite gegeben ist und auf der anderen nicht! Der Dissenz besteht vielmehr in der Bestimmung dessen, was „praktikabel“ und gesellschaftlich „akzeptanzfähig“ ist und damit letztlich in der Frage, was „realistische Politik“ denn nun eigentlich ist.

Die beiden Ansätze unterscheiden sich in meiner Wahrnehmung eher darin, ob in der Politik die Gesellschaftsveränderung mitgedacht wird und mit entsprechenden parlamentarischen Aktivitäten erste Schritte in diese Richtung vorgeschlagen werden, oder ob das Ziel „nur“ darin besteht, die Verbesserung der Lebenslage bestimmter Bevölkerungsgruppen im Rahmen des Gegebenen zu erreichen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das letztere wäre schon viel, aber es trüge, wenn es denn realisisert würde, absolut nichts dazu bei, daß die strukturelle Gewalt in dieser Gesellschaft bekämpft und abgebaut wird. Es ginge letztlich über einen sozialdemokratischen Ansatz nicht hinaus und würde in der politischen Landschaft der BRD für eine kleine Partei keinen rechten Sinn machen – zumal der Verzicht auf jede „Aufmüpfigkeit“ für eine solche Partei die Durchsetzungsmöglichkeiten keineswegs erhöht.

Die Behauptung, der erstgenannte Ansatz wäre reine Traumtänzerei und der letztere hätte Chancen auf Realisierung, zeugt von Unkenntnis der politischen Mechanismen und Spielregeln. Solange die Partei ihre gesellschaftskritischen und emanzipatorischen Ansätze beibehält, gehört sie zwangsläufig nicht zum mainstream der Gesellschaft und wird folglich auch nicht qua eigener Kraft auf dem direkten parlamentarischen Weg etwas unmittelbar umsetzen können.

Ich meine, die Partei täte gut daran, sich ihrer in der Opposition gesammelten Erfahrungen zu erinnern. Immerhin war es ihr – nicht zuletzt durch ihre Präsenz im Bundestag – in den achtziger Jahren gelungen, einen tiefgreifenden Wandel im gesellschaftlichen Denken über die Frage der Umwelt und auch der Hierarchie zwischen den Geschlechtern in Gang zu setzen und es wäre ziemlich genau das, was diese Gesellschaft braucht. Christina Schenk (UFV), MdB,

Bündnis 90/Die Grünen

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