: Betr.: Ich erreichte das Land der Nuer im Jahr 1930. Sturmwetter ...
Ich erreichte das Land der Nuer früh im Jahr 1930. Sturmwetter verhinderte, daß ich in Marseille mein Gepäck mitnehmen konnte, und wegen Fehlern, für die ich keine Verantwortung trage, wurden meine Lebensmittelvorräte von Malakal aus nicht weitergeleitet und meine Zande-Mitarbeiter erhielten keine Instruktion, mich zu treffen. Ich reiste in das Land der Nuer mit meinem Zelt, ein wenig Ausrüstung, einigen in Malakal erstandenen Vorräten und zwei Mitarbeitern, einem Atwot und einem Bellanda, die ich in Eile am selben Ort in Dienst nahm. Als ich in Yoahnyang am Fluß Bahr-el-Ghazal ankam, waren die katholischen Missionare sehr freundlich. Man hatte mir Träger versprochen, und ich wartete neun Tage am Flußufer auf sie. Am zehnten Tag waren nur vier von ihnen eingetroffen [...].
Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zum benachbarten Dorf Pakur, wo meine Träger Zelt und Vorräte mitten in einer baumlosen Ebene in der Nähe einiger Ansiedlungen absetzten und sich weigerten, sie in den Schatten eine halbe Meile weiter zu tragen. Den nächsten Tag verbrachte ich damit, mein Zelt aufzubauen und über meinen Atwot-Mitarbeiter, der die Nuer-Sprache und ein wenig Arabisch sprach, die Nuer dazu zu überreden, meine Behausung in die Nähe von Schatten und Wasser zu verlagern. Sie weigerten sich. Zum Glück schloß sich mir ein junger Nuer namens Nhial an, der seither mein ständiger Begleiter im Land der Nuer gewesen ist, und nach zwölf Tagen überredete er seine Landsleute, meine Güter an den Rand des Waldes zu tragen, wo die Nuer wohnten. Meine Mitarbeiter, die wie die meisten Einheimischen des Südsudan in Todesfurcht vor den Nuer lebten, waren bis dahin so ängstlich, daß sie nach mehreren schlaflosen und sorgenvollen Nächten zum Fluß wegrannten, wo sie auf das nächste Dampfboot zurück nach Malakal warteten, und ich blieb mit Nhial allein [...].
Meine Hauptschwierigkeit in diesem frühen Stadium war meine Unfähigkeit, mich frei mit den Nuer zu unterhalten. Ich hatte keinen Dolmetscher. Keiner der Nuer sprach Arabisch [...] In der Trockenzeit von 1931 kehrte ich zu einem neuen Versuch zurück [...]
Nach einer Weile waren die Leute dazu bereit, mich in meinem Zelt zu besuchen, meinen Tabak zu rauchen und sogar Witze und Konversation zu betreiben, aber sie waren nicht gewillt, mich in ihrem Obdach zu empfangen oder ernsthafte Dinge zu besprechen [...]. Es folgt das Beispiel einer Unterhaltung:
„Wer bist du?“
„Ein Mensch.“
„Wie ist dein Name?“
„Du willst meinen Namen wissen?“
„Ja.“
„Du willst meinen Namen wissen?“
„Ja, du bist zu Besuch in mein Zelt gekommen, und ich würde gerne wissen, wer du bist.“
„Gut. Ich bin Cuol. Wie ist dein Name?“
„Mein Name ist Pritchard.“
„Wie ist der Name deines Vaters?“
„Mein Vater heißt auch Pritchard.“
„Nein, das kann nicht sein. Du kannst nicht genauso heißen wie dein Vater.“
„Es ist mein Familienname. Was ist dein Familienname?“
„Du willst meinen Familiennamen wissen?“
„Ja.“
„Was machst du damit, wenn ich ihn dir sage? Nimmst du ihn mit in dein Land?“
„Ich will damit gar nichts machen. Ich will ihn einfach wissen, weil ich bei euch wohne.“
„Na gut, wir sind Luo.“
„Ich habe dich nicht nach dem Namen deines Stammes gefragt. Den weiß ich. Ich frage dich nach deinem Familiennamen.“
„Wieso willst du meinen Familiennamen kennenlernen?“
„Ich will ihn nicht kennenlernen.“
„Wieso fragst du dann danach? Gib mir Tabak.“
Aus: E. E. Evans-Pritchard: „The Nuer“.
Oxford 1940
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