Berliner Platten : Für den Soundtrack zum verlorenen Blick aus dem Fenster: Der Avocadoclub streichelt Männerseelen, und Landesvatter träumt Techno als Schatten seiner selbst
Preisfrage: Welcher Name einer tatsächlich existierenden Band ist gerade so aktuell wie nie? Antwort: The Long Winters.
Womit daran erinnert werden soll, dass manche Bandnamen erst verspätet einen Sinn erhalten mögen. Schon gespannt darf man sein, in welchem Zusammenhang Avocadoclub dereinst eine tiefere Bedeutung erlangen wird. Bis es so weit ist, veröffentlichen die Freunde der fettigen grünen Birne erst einmal ihr erstes Album „Everybody’s Wrong“. Der Klub hat allerdings nur ein einziges Mitglied: Bendrik Muhs spielte sein Debüt nahezu im Alleingang ein. Das ehemalige Lemonbaby Julia Gehrmann steuerte zwar etwas Backgroundgesang bei, und ein paar Freunde spielten auf zwei, drei Stücken Bass oder Schlagzeug. Den Rest aber nahm Muhs, der schon mal mit international bekannten Größen wie Erlend Oye oder Kieron Pepper von The Prodigy arbeitet, ohne Unterstützung in seinem Studio auf. Trotzdem klingt der zwischen Americana und fast britischem Gitarrenpop oszillierende Avocadoclub wie eine echte Band: Was zum einen beweist, was Technik heutzutage alles vermag, und außerdem, dass Muhs sie offensichtlich recht souverän beherrscht.
So ganz allein darf man allerdings auch mal trübsinnig werden. Muhs singt zwar immerhin vom „first day of spring“, aber grundsätzlich passt die Stimmung von „Everybody’s Wrong“ fast schon zu gut zur Jahreszeit, auch wenn, zugegeben, Melancholie ein eher herbstliches Gefühl ist. Muhs muss sich nur vorsehen, dass er sich nicht allzu sehr versteift auf die gefällige Pose der einsamen Männerseele. Dass er auch anders kann, beweisen zwei Songs, die auf dem Album nur als Videoclips vertreten sind: Der von Bläsern dominierte, luftige Sommerhit „Girls Use Deodorants These Days“ und das abgrundtief depressive „All Of Your Gum“ loten ganz andere Gefühle aus als der Avocadoclub, der sich auf „Everybody’s Wrong“ sonst so einheitlich präsentiert.
Einen musikalisch vollkommen anderen Ansatz verfolgt Joachim Landesvatter auf seinem zweiten Album, kommt aber zu vergleichbaren Ergebnissen in der Stimmungslage. Vom fröhlich bollernden Techno, von dem Landesvatter ursprünglich einmal herkam, sind auf „Lax“ nur die Mittel geblieben. Aber die Elektronik tritt hier nicht Arsch, sondern lullt ein, klickt und klackt und knuspert, schabt und schwallt über Rhythmen, die sich nicht so recht entscheiden können, wohin sie wollen. Nicht nur Techno, auch Rockgitarren oder Soulsounds wischen vorbei wie Schatten ihrer selbst, nur noch als matte Erinnerungen an verlorene Zeiten. So lässt sich in „Lax“ blättern wie in einem alten Fotoalbum, und jedes vergilbte Blatt erzählt eine neue Geschichte von Verlust. Die gewonnenen Freiräume aber nutzt Landesvatter für einige wunderschöne Tracks, denen man scheinbar ewig hinterherträumen könnte.
Sosehr sich Landesvatter und der Avocadoclub auch unterscheiden mögen, beide liefern einen Soundtrack zum verlorenen Blick aus dem Fenster. Dort draußen, melden die Meteorologen, bleibt der Winter weiter hartnäckig. THOMAS WINKLER