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Archiv-Artikel

Berliner Ökonomie Vorweihnachtszeit in Berlin: Dem kleinen Teufel blubbert der Bauch

Die Griechen schließen, und nur die Kaugummiautomaten hängen noch: Der Trend geht weg vom Gyros

Erstes Geld hatte der Grieche mit dem heimlichen Aufhängen von Kaugummiautomaten gemacht. Ohne die Hausbesitzer zu fragen, wurden die Kästen einfach an die Wand gedübelt. Dann eröffnete der Sozialdemokrat einen Griechen schräg gegenüber der SPD-Zentrale. Aber Münte oder Schröder war der Laden wohl immer zu billig. Nur kleinere Chargen aus den Berliner Unterbezirken versuchten, sich hier bei frischem Ouzo Posten zuzuschieben. „Du musst rausfinden, was Steglitz will!“, waren Gesprächsfetzen, die einen immer richtig runterzogen. Dann fragte der Wirt irgendwann im Sommer, der Laden war wieder mal fast leer: „Was ist eigentlich mit diesem Theater um die Ecke los, was hältst du von dem Lilienthal?“ „Der ist richtig schwer Avantgarde“, sagte ich. Aber seit der aus dem Hebbel Theater das HAU gemacht hat, ist der Laden leer. Trinkt und isst die Avantgarde nach der Vorstellung denn nichts? Inzwischen ist das HAU prämiert worden, das Restaurant dagegen pleite. Einige Kaugummiautomaten hängen noch.

Unser netter Grieche Babis ist auch längst zu. Die Miete betrug rund 6.000 Euro. Irgendwann reduzierte man sie nach Absprache, dann wurden eines Tages plötzlich die Schlösser ausgetauscht. Die drei Betreiber haben nichts mehr außer Schulden, die letzten Vorräte an Bier und Wein wurden ihnen von Lieferanten gestohlen. Wir beschrifteten die Wände dann mit Parolen wie „Ouzo statt Leerstand“, Scheibeneinwerfen wurde wegen der jüdischen Herkunft der Vermieter verworfen. Jetzt hat dort ein ungemütlicher Vegetarier eröffnet. Der Trend geht weg vom Gyros.

Die Pizzeria am Kreuzberger Landwehrkanal dagegen floriert so fantastisch, dass die Betreiber Journalisten bitten, lieber keine Geschichten über den Laden zu schreiben oder wenigstens den Namen nicht zu erwähnen, damit es nicht noch voller wird. Inzwischen hat man ein Zweitrestaurant im Prenzlauer Berg und unterstützt mit dem verdienten Geld weltweit revolutionäre Bewegungen wie die Zapatisten. Außerdem veranstaltet man einmal im Jahr im SO36 ein Festival mit Italo-Punkbands. Der Vermieter der Volkspizzeria ist leider der Münchner Nazi Frey.

Kommen wir zu aktuellen Entwicklungen bei der Haustierbetreuung. Eine Freundin mit zwei älteren Katzen hat unlängst einen Gewinn aus der Aktion- Mensch-Lotterie – früher: Aktion Sorgenkind – zweckentfremdet. Die eine Katze der Arbeitslosen musste dringend operiert werden, dafür ging das Preisgeld drauf.

Das ist ihr natürlich peinlich, ähnlich wie ihre Manie, CDs länger auszuleihen. Was sie allerdings eine sympathische Ausrede erfinden ließ: Wer ihr nicht sagen könne, welche Musik sie noch hat, könne die ja auch nicht allzu doll vermissen. Eine andere Freundin verlor in diesem Jahr ihre beiden Meerschweinchen, den schnellen Häkinen und den nachdenklichen Einstein. Einstein, da ist sie sicher, wollte kurz nach Beschluss des Hartz-IV-Gesetzes aus dem Leben scheiden, weil es in seiner Neuköllner Parallelgesellschaft dann ungemütlich werden würde. Dicht kuschelte er sich an die Besitzerin und stellte das Atmen ein. Einige Wochen später, nach einer Trauerzeit, ging man zur Karstadt-Hermannplatz-Tierabteilung. Ein neues Vieh wurde gekauft und wegen seines Aussehens auf den japanischen Namen Ko-Oni getauft, was „kleiner Teufel“ heißt. Bald bemerkte man an dem Tier ein verstärktes Blubbern im Bauch, Wochen später kamen zwei gesunde Meerschweinchen zur Welt. Auf Nachfrage wollte man bei Karstadt nicht ausschließen, dass die Schwängerung des etwa vier Wochen alten Tiers im Kaufhaus stattgefunden habe. „Man schwängert doch auch keine 12-Jährige“, meinte die Besitzerin darauf entsetzt. Schön dumm vom maroden Karstadt, nicht abzuwarten und dann auch die Jungen zu verkaufen.

Kekse kaufen wir diesen Winter im Fabrikshop von Bahlsen in Tempelhof. Hier gibt’s Zweite- Wahl -Sachen, meist ist der Grund Unter- oder Übergewicht der Packung. Es gibt zerbrochene Buchstabenkekse für Kindergeburtstage, aber auch geknickte Prinzenrollen, Lebkuchen, Marzipanbrote und Chips und Salzstangen von Lorenz Snackworld. Die ist nach einem Bruder Bahlsen benannt, der sich mit der Familie nicht über die Strategie des Backimperiums einigen konnte. „Dann kriegst du eben die Salzstangen, Junge“, hieß es da wohl nach einem Streit am Kaminfeuer. Komische Vorstellung: Besitzer von Becker Snackworld zu sein und vorm Urhebergericht um das Wort „Salzletten“ zu kämpfen.

Neben der Bahlsenfabrik, die toll duftet, ist die Rasierklingenschmiede von Gillette. Die haben direkt hinter der Pforte eine Statistik mit Arbeitsunfällen auf einer Digitaltafel. Schon 14 Unfälle in diesem Jahr: 93 Tage seit dem letzten Unfall, steht dann da. Rasierklingen sind eben sehr scharf, vor allem wenn man sie in der Frühschicht mit Mach 3 zusammensetzt. ANDREAS BECKER