Berliner Ökonomie : Von der Ich- zur Wir-AG
In Städten und Kommunen nimmt die Zahl der Genossenschaften zu – als gemeinnützige Alternative zur neoliberalen Marktwirtschaft
Vor kurzem fand in der TU ein Kongress über „Solidarische Ökonomie“ statt. Zugrunde lag ihm der Gedanke, dass es nicht der Kampf „jeder gegen jeden“ ist, der den Menschen vorantreibt, sondern sogenannte gegenseitige Hilfe bzw. Kooperation. Seit der neoliberalen „Wende“ haben sich denn auch Genossenschaften als marktwirtschaftlich gerade noch mögliche Unternehmensform vermehrt. Inzwischen greifen nicht nur soziale Einrichtungen und Vereine auf dieses „Modell“ zurück. Ganze Städte entscheiden sich, den Wohnungsbau oder Gas- und Wasserwerke nicht zu privatisieren, sondern in einer Genossenschaft zu vergesellschaften.
Auf dem Kongress gab es dazu etliche Projektpapiere und Erfahrungsberichte. So referierte eine Abordnung der taz ausgehend vom einstigen Kampf der Belegschaft um die „kleine Lösung: Genossenschaft“ über die bisherige Entwicklung dieser alternativen Wirtschaftsorganisation gegenüber ihrem alten Vorbild Libération in Paris, wo man sich für die „große Lösung: Monsieur le Capital“ entschied. Dort fand das Modell der Selbstverwaltung ein unrühmliches Ende, indem die Libé zuletzt privatisiert wurde. Auch manche Genossenschaftsgründung endete derart – elendig. In der Mongolei fanden gerade militante Demonstrationen statt: Mitglieder mehrerer Genossenschaftsbanken waren mit dem Versprechen auf hohe Zinsen geprellt worden, wobei alle Ersparnisse im darauffolgenden „Zusammenbruch“ verloren gingen. Prompt wurde der Leiter der mongolischen Bankenaufsicht erschossen.
Dennoch findet auch in der Mongolei gerade eine wahre Genossenschaftsgründungswelle statt, vor allem in der Form von Produktions-, Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften. In Ostdeutschland haben dagegen viele Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, so sie überlebten, die Wirtschaftsform „GmbH“ bzw. „AG“ angenommen, die ihnen mehr „Spielraum“ versprach als West-„Genossenschaften“. Dies wurde auf dem Kongress in einem Attac-Beitrag noch einmal bestätigt: Anders als in den romanischen und lateinamerikanischen Ländern fehle es dafür hierzulande an „politischer Unterstützung“. Und die Arbeitsagenturen und Existenzgründerberater pushen nur Ich- statt Wir-AGs.
Auch fehle es an staatlicher oder kommunaler Hilfe bei Betriebsübernahmen durch Belegschaften. Trotzdem wollen die Bürger in Bad Iburg und Bremen jetzt das städtische Gasnetz selbst „vergenossenschaften“, damit es nicht privaten Investoren in die Hände fällt. Das Freiburger Bürgervotum, dasselbe mit dem kommunalen Wohnungsbestand zu tun, wurde ebenfalls diskutiert. Für Berlin stellte Wolfgang Fabricius vom „Gesundheitsladen“ die von ihm so genannten Hartz-IV-Genossenschaften vor. Dazu erklärte er: „Der Berliner Senat hat 2004 für zwei Milliarden Euro 65.000 GSW-Wohnungen an den amerikanischen Rentenfonds Cerberus verkauft. Das sind etwa 30.000 Euro pro Wohneinheit. Wenn diese Wohnungen den Mietern zum Kauf angeboten worden wären, hätte selbst ein Harz-IV-Empfänger mit seinen 360 Euro Wohngeld pro Monat – zwei Drittel Schuldendienst plus ein Drittel Betriebskosten, Renovierung und Instandhaltung – diese Summe bei fünfprozentiger Verzinsung nach 15 Jahren getilgt. Der Rechnung entsprechend hätte der Senat von diesem Zeitpunkt an die Wohngeldzahlungen also um zwei Drittel reduzieren und damit Steuergelder sparen können. „So aber fließt dieses Geld“, wie Fabricius weiter ausführte, „in amerikanische Rentenkassen und ist für Bürger und ihre Stadt für immer verloren.“
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über finanzielle Nothilfen für Berlin ist wohl trotz aller Proteste der Verkauf der restlichen 277.000 Wohnungen vorgesehen. Und zwar zu 5 Milliarden Euro, das sind pro Einheit nur 18.000 Euro. Damit die betroffenen Mieter ihre Wohnungen selbst kaufen können, wäre es laut Fabricius erforderlich, „entsprechende Genossenschaften zu gründen“.
Für die ebenfalls anstehende Vergesellschaftung der Berliner Wasserwerke wiederum wurden Formulare an potenzielle Mitglieder einer „Wasser in Bürgerhand Berlin eG“ verteilt. Diese Genossenschaft will erst einmal die Wasserwerke gemeinsam mit dem Berliner Senat betreiben, ist jedoch auch bereit, „den Senatsanteil kostenneutral zu übernehmen.“ Da es diesbezüglich aber einen „Geheimvertrag“ gibt – mit den „Profiteuren“, die 1999 die Werke zur Hälfte übernahmen und denen der Senat eine achtprozentige Rendite garantierte – muss die Wasserwerks-Genossenschaft i. G. erst einmal die juristischen und politischen Möglichkeiten für deren Ausscheiden aus dem Vertrag prüfen. Kritisiert wurden in diesem Zusammenhang das vom Europa-Büro Sahra Wagenknechts gerade veröffentlichte Papier über die Wasserbetriebe, in dem der Attac-Theoretiker Alexis Passadakis nicht für Vergenossenschaftung, sondern für eine „Rekommunalisierung“ plädierte. HELMUT HÖGE