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„Bei Teilzeit einen Zuschuß vom Arbeitsamt“

■ Interview mit Günther Schmid, Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin, über die Chancen des zweiten Arbeitsmarkts

taz: Herr Schmid, die neueren Beschäftigungsprogramme in der Umweltsanierung und den sozialen Diensten erscheinen sowohl von der Mischfinanzierung als auch von den Zielsetzungen her relativ fortschrittlich. Trotzdem fühlen sich die Beteiligten als Arbeitnehmer zweiter Klasse: eine Bezahlung von 90 Prozent des Tariflohns beginnt sich durchzusetzen, die technische Ausrüstung ist schlecht. Spalten diese Programme zunehmend die arbeitende Bevölkerung in die Glücklichen auf dem ersten und die Unterprivilegierten auf dem zweiten Arbeitsmarkt?

Günther Schmid: Bei dieser Frage vergleichen Sie die Beschäftigung in solchen Projekten mit einem idealtypischen Arbeitsplatz mit besten Bedingungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. In Wirklichkeit sieht ja der reguläre Arbeitsmarkt doch sehr differenziert aus, mit unterschiedlichen Lohnstrukturen, auch sehr niedrigen Löhnen, unterschiedlichen Bedingungen, auch großen Unsicherheiten. Wenn das aber der Fall sein sollte, daß mit diesen Maßnahmen wieder ein zweiter Arbeitsmarkt institutionalisiert wird mit schlechteren Arbeitsbedingungen, dann kann das natürlich nicht das Ziel sein. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich dafür plädiere, diese Art von zweitem Arbeitsmarkt nicht allzu weit auszubauen.

Welche anderen Chancen gibt es angesichts von 3,5 Millionen Erwerbslosen, neue Arbeitsplätze zu schaffen?

Ich denke, daß es beispielsweise möglich ist, mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen, insbesondere im öffentlichen Dienst. Man könnte auch mit Hilfe von befristeten Lohnkostenzuschüssen noch mehr reguläre Arbeitsplätze schaffen bei Existenzgründern und in kleinen Betrieben, die sich bemühen, im Markt Fuß zu fassen.

Der Vorschlag mit den Teilzeitarbeitsplätzen klingt zwar logisch, die Arbeitgeber zum Beispiel aber fürchten hier den Mehraufwand.

Sie haben recht, daß das für die Betriebe eine Mehrkostenbelastung bedeuten kann, mit mehr Beschäftigten zu arbeiten, da dann entsprechend die Infrastruktur verändert werden müßte. Das kann aber unter Umständen gerade in der privaten Wirtschaft dadurch kompensiert werden, daß längere Maschinenlaufzeiten möglich sind, die dann auch die Nutzung der Kapitalinvestitionen verbessern.

Glauben Sie denn, daß die Beschäftigten in größerem Maße Teilzeit akzeptieren und damit auf Einkommen verzichten würden?

Auf der Arbeitnehmerseite gibt es nach allen Umfragen noch ein erhebliches Potential an Teilzeitwünschen, die nicht erfüllt sind. Nur sind zwei Bedingungen in der Regel nicht gewährleistet, nämlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die reguläre Vollzeitbeschäftigung, sagen wir nach fünf bis sieben Jahren. Zweitens ist in der Tat der Einkommensverlust abschreckend. Hier müßte man eine finanzielle Kompensation schaffen.

Wie soll denn dieser finanzielle Ausgleich für die Teilzeitarbeitnehmer genau aussehen?

Die Voraussetzung ist eine Flexibilisierung der Arbeitslosenversicherung, der Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Wenn wir an das Modell Kurzarbeitergeld denken, in dem ja die nichtentlohnte Nichtarbeitszeit zum Teil kompensiert wird in der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, könnte ich mir vorstellen, daß ein analoges Modell auch für qualifizierte Teilzeitbeschäftigung denkbar ist. Das heißt, daß Menschen, die Ansprüche erwerben über reguläre Versicherungsleistungen, auch Anspruch haben auf Teilzeitarbeitslosengeld.

Das heißt, wer seine Arbeitszeit herunterfährt, bekommt einen anteiligen finanziellen Ausgleich, weil dafür ja ein Erwerbsloser wieder beschäftigt werden kann und damit dem Arbeitsamt nicht mehr zur Last fällt. Klingt einleuchtend, aber gibt es für dieses Teilzeitarbeitslosengeld schon Modelle?

Das ist, zumindest im Ansatz, schon laufende Praxis in den Niederlanden und in Schweden. Die enormen Zuwächse der Teilzeitbeschäftigung in den Niederlanden liegen auch darin begründet, daß sie ein sehr flexibles Arbeitslosenversicherungsmodell haben.

Das Modell erinnert ein wenig an die Vorschläge zur Subventionierung von Niedriglöhnen, die derzeit wieder im Gespräch sind. Die Vertreter dieser Vorschläge wollen wieder Niedriglohnarbeitsplätze zulassen, den Beschäftigten soll der Staat dann noch einen Zuschuß obendrauf geben. Was halten Sie davon ?

Ich halte davon nichts, wenn damit gemeint ist, einen zweiten Niedriglohnarbeitsmarkt zu finanzieren. Dies ist aus meiner Sicht abzulehnen, weil es eine radikale Absenkung des Lohnniveaus, eine Erosion der tariflichen sozialen Standards bedeuten würde. Damit droht eine Abwärtsspirale aus Kaufkraftverlusten und Absatzkrise und damit auch weniger Beschäftigung. Der Grundgedanke des Modells aber ist interessant im Zusammenhang mit der Teilzeitdiskussion, wenn Beschäftigte freiwillig aus bestimmten Gründen auf Teilzeit gehen würden. Dann ist das Modell der Verbindung von Erwerbseinkommen und Transferleistungen diskussionswürdig.

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