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„Bei Industriearbeitern schneidet die PDS schlecht ab“

■ Der Politologe Richard Stöss meint, daß die Sozialisten ihr Wählerpotential weitgehend ausgeschöpft haben

taz: Herr Stöss, seit einigen Wochen diskutiert die PDS wieder ihr Selbstverständnis. Ist die PDS eine ostdeutsche Volkspartei?

Richard Stöss: Nein, eine Volkspartei bezieht sich in ihrer sozialen Zusammensetzung und ihren politischen Zielen auf die Gesamtgesellschaft. Die PDS ist eine ostdeutsche Milieupartei. Das für sie gegenwärtig erreichbare Wählerpotential ist sozialstrukturell klar begrenzt. 70 bis 80 Prozent davon gehören zur politischen Klasse der DDR. Auf deren Interessen bezieht sich die PDS.

Die PDS hat inzwischen eine Mittelstandsvereinigung. Sie ist gezwungen, sich um ihre sehr breite Wählerklientel zu kümmern. Birgt sie da nicht doch Ansätze zur Volkspartei?

Die PDS ist in der Tat eine pluralistische Partei. Innerhalb ihres Milieus ist sie sozialstrukturell sehr breit gestreut. Vor allem bei den Industriearbeitern schneidet sie schlecht ab, dafür ist die PDS bei den Beamten überproportional vertreten. Christine Ostrowski will mit einer relativ pragmatischen Reformpolitik Wähler anderer Parteien erreichen. Im sozialstrukturellen Sinne könnte die PDS sich so unter Umständen tatsächlich zu einer Volkspartei entwickeln, aber im politischen Sinne nicht. Auch Ostrowski will doch gerade die Ost-Interessen vertreten.

In den letzten Monaten hat die Bedeutung der PDS erheblich zugenommen. Sie ist als Regierungspartner im Gespräch. Vergrößert dies ihre Wahlchancen?

Die PDS kann gegenwärtig rund zwei Millionen Wählerstimmen gewinnen. Diese Zahl hat sie bereits bei den Volkskammerwahlen im März 1990 erreicht. Sie ist dann bis Ende 1991 runtergegangen und hat sich im Wahljahr 1994 wieder dem Ausgangsniveau genährt. Es gibt derzeit keinerlei Anzeichen dafür, daß sie darüber hinauskommen könnte.

Bislang stritten sich in der PDS vor allem Traditionalisten und Reformer. Jetzt werden zwei unterschiedliche strategische Konzepte diskutiert. Ist dies eine neue Qualität innerparteilicher Auseinandersetzung?

Ja und nein. Richtig ist, es sind zwei verschiedene Reformansätze. Die einen wollen noch konsequenter ostdeutsche Interessenpolitik betreiben und die Partei in den neuen Bundesländern realpolitisch ausrichten. Die anderen wollen mit einem klaren weltanschaulich fundierten, kapitalismuskritischen und gesamtdeutschen Programm auch im Westen Anklang finden. Aber auf beiden Flügeln finden sich Traditionalisten, die eine fundamentalistische Oppositionspolitik anstreben.

Was wollen die Wähler?

Die Wähler der PDS sind ausgesprochen pragmatisch. Wenn sie das Gefühl haben, die Partei setzt sich für ihre Interessen ein, ist die Bereitschaft sehr groß, eine Regierungsbeteiligung zu akzeptieren.

Kann die PDS im Zuge der Zunahme ostdeutschen Selbstbewußtseins neue Wähler gewinnen?

Dies hängt weniger von der PDS ab als von der Politik der anderen Parteien. Sie müssen innerparteilich zu einem Interessenausgleich zwischen Ost und West kommen. Dabei spielt weniger die ökonomisch-soziale Ebene eine Rolle als die politisch-kulturelle.

Wie groß ist das Wählerpotential, um das SPD und PDS unmittelbar konkurrieren?

Es ist sehr klein und existiert nur in den neuen Bundesländern. Die Wähler kommen aus ganz unterschiedlichen Milieus, vor allem unterscheidet sie ihre Position in bezug auf die DDR. Beide haben allerdings einen gemeinsamen Grundwert, das ist die soziale Gerechtigkeit. Längerfristig gesehen wären beide Milieus im Sinne einer politischen Stoßrichtung miteinander vereinbar.

Schon von Zusammenarbeit will die SPD nichts wissen.

Die Wähler der drei Parteien – die Bündnisgrünen müssen hier hinzugezählt werden – haben wesentlich mehr gemeinsam als die drei Parteien selbst. Gerade bei den langfristigen Werteorientierungen gibt es großen Konsens. Der Dissens existiert weniger auf der Ebene der Parteimitglieder als bei den Parteiführern.

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