Banalität des Bösen : Der Ruin des Politischen
Spätestens seit George W. Bushs Achsen-Philosophie ist das Wort vom „Bösen“ unbrauchbar geworden, so scheint es. Und schon seit der unsäglichen Kontroverse über Hannah Arendts Eichmann-Prozess-Bericht ist die „Banalität des Bösen“ zu einem Schlagwort geworden, das wie ein Selbstläufer Missverständnisse weitertransportiert. So heißt es immer wieder, Arendt habe mit ihrer Wortwahl eine Verharmlosung der Verbrechen betrieben: Nicht das Böse und nicht die Täter seien banal, sondern sie würden allenfalls banalisiert. Das hat Arendt aber nicht gemeint.
Wenn Worte zu Schlagworten werden, verlieren sie die Fähigkeit, mit ihnen weiterzudenken. Arendts „Banalität des Bösen“ geht aus von der Erschütterung über die offensichtliche und historisch neue Diskrepanz zwischen der Monstrosität der Taten und der Seichtheit der Täter. Stalins Verbrechen waren dagegen vergleichsweise altmodisch. „Das Beunruhigende an der Person Eichmann war doch gerade, dass er wie viele … weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal“ war, eine Normalität, mit der diese Täter sich ihrer Untaten nicht bewusst sind.
Der Horror des banal Bösen liegt in einer Indifferenz, die Arendt als Eindimensionalität und damit „Abwesenheit des Denkens“ bezeichnete, in der Weigerung oder Unfähigkeit, sich irgendetwas vom Gesichtspunkt Anderer her vorzustellen, in abgedichteten Bewusstseinsräumen, verschlossenen Vorstellungswelten, TäterInnen ohne Unrechtsbewusstsein. Moralisch zur Debatte steht damit die massenhafte Kollaboration, die Mittäterschaft derjenigen, die keineswegs fanatische Nazis sein mussten, um sich anzupassen.
Arendts Analyse ist in ihrem Kern so aktuell wie je. Sie betrifft die Zerstörung der Urteilsfähigkeit und den Ruin des Politischen – auch in den Massendemokratien. CHRISTINA THÜRMER-ROHR
Die Autorin ist Professorin an der Technischen Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Feministische Theorie