BLIX IM SICHERHEITSRAT: DER DRUCK AUF DEN IRAK WIRD ERHÖHT : Verhindert ist der Krieg noch nicht
Die befürchtete Steilvorlage für die Kriegspläne aus Washington und London war das nicht, was UN-Chefinspektor Hans Blix und der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Muhamad al-Baradei, gestern vor dem Sicherheitsrat berichteten. In Kurzform: Der Irak muss noch aktiver werden, aber die Inspektoren kommen voran, und ihre Möglichkeiten werden immer besser. Ein Erfolg des Beharrens auf Inspektionen, sagen die einen; ein Erfolg der militärischen Drohkulisse, sagen die anderen. Egal, wer recht hat: Die bisherige Strategie ist erfolgreich; es gibt keinen Grund, sie zu ändern und mit einer weiteren Sicherheitsratsresolution auf einen raschen Krieg hinzusteuern.
Auch den USA und Großbritannien war es gestern klar, dass das die Mehrheit des Sicherheitsrates so sehen würde, und so hielten sie ihre Pläne zurück. Allerdings: Was ihnen zunächst den Wind aus den Segeln nimmt und den Kriegsgegnern vermutlich ein bis zwei Wochen mehr Spielraum verschafft, erhöht gleichzeitig noch einmal den Druck auf den Irak. Gerade weil er gestern nicht versuchte, den Sicherheitsrat zur sofortigen Verabschiedung einer neuen, ultimativen Resolution zu bewegen, entwickelte US-Außenminister Colin Powell eine große Überzeugungskraft: Als er alle von den Inspektoren selbst dokumentierten Aussagen über den mangelnden Willen des Irak mit den unter unbestreitbar großem militärischem Druck entstandenen Fortschritten bei den Inspektionen zusammenbrachte. „Alles Prozess, nicht Substanz“ – der Irak wolle lediglich Zeit gewinnen, bis die internationale Gemeinschaft nicht mehr hinsehe, sagte Powell mit geballter Faust und wütender Miene. Den Eindruck hatte der Irak selbst durch die unsinnige Verabschiedung seines Dekrets zum Verbot von Massenvernichtungswaffen ausgerechnet gestern Vormittag noch selbst verschärft.
Ganz offensichtlich hat die französisch-deutsche Initiative, den Waffeninspektionen mehr Zeit und eine bessere personelle und materielle Ausstattung zu verschaffen, zunächst eine Mehrheit für den Krieg verhindert. Das ist ein Erfolg, der vor einigen Wochen kaum zu erwarten war. Verhindert aber ist der Krieg damit noch nicht.
BERND PICKERT