BIS DIE PATIENTEN INS KOMA FALLEN: DIE SPARDIKTATE IM ITALIENISCHEN GESUNDHEITSWESEN HABEN DRAMATISCHE AUSWIRKUNGEN : „Geht es Ihrer Oma wirklich so schlecht?“ – fragt der Notruf
VON MICHAEL BRAUN
Ein Beinbruch, ein Kreislaufkollaps oder gar ein Herzinfarkt? In Rom sollte man sich sehr genau überlegen, wann man sich solche Missgeschicke leistet, um dann die Notrufnummer 118 für den Rettungswagen anzuwählen. Ganz verkehrt wäre der vergangene Dienstag gewesen. „Leider ist gerade kein Fahrzeug verfügbar. Sind Sie sicher, dass es Ihrer Oma wirklich so schlecht geht? Vielleicht ist es ja auch nur eine kleine Unpässlichkeit.“ Mit solchen Antworten aus der Leitzentrale musste rechnen, wer den Notruf wählte.
Gleich 28 der 80 in Rom stationierten Rettungswagen waren nämlich außer Gefecht. Technisch waren die Fahrzeuge zwar perfekt in Ordnung, und auch das Personal war an Bord – bloß die Fahrtragen fehlten. Jedes Mal wenn ein Patient bei einer der Notaufnahmen der römischen Krankenhäuser ankam, hieß es: die Klinik sei bis zum letzten Bett voll, der Patient müsse auf dem Flur geparkt werden – auf der Fahrtrage des Rettungswagens. Das Resultat: Mal sechs Stunden, mal auch einen ganzen Tag mussten die Notfallretter ihre Fahrzeuge vor den Krankenhäusern parken und däumchendrehend warten, bis die Kliniken die Tragen wieder rausrückten.
„Seit 2009 geht das immer wieder so, vor allem im Januar und Februar“, sagen Vertreter eines Ärzteverbandes. Die Patienten sind gleich doppelt geschädigt: Erst kommt der Rettungswagen mit großer Verspätung, und dann müssen die Kranken stundenlang auf Behandlung warten, selbst in Notfällen.
Die Gründe liegen auf der Hand. Der staatliche Gesundheitsdienst der Region Latium – zu ihr gehört Rom – hat Milliardendefizite angehäuft, die Regierungen strichen brachial die Zahlen der Betten in den Krankenhäusern zusammen. Jetzt wird es eng für jene Patienten, bei denen nur schnelle Behandlung das Leben retten oder bleibende Schäden verhindern könnte. Selbst bei Schlaganfällen ist der Soforteingriff nicht garantiert. Letzten Dienstag traf es eine 89-jährige Frau. Mehr als sechs Stunden wartete sie auf ihrer Fahrtrage im Krankenhaus-Korridor, ehe sie behandelt wurde. Seither liegt sie im Koma, wie das Gesundheitswesen in Rom.