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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Dümmer, als der Stammgast erlaubt

Die ARD sollte sich ein Beispiel nehmen am guten alten Dorfklatsch: Der setzt auf Öffentlichkeit und nicht auf Quote

Klaus betrügt Klaudia mit Kerstin. Klaudia betrügt Klaus mit Konrad. Konrad und Kerstin sind ein Ehepaar. Wenn das 50 Leute zwischen Flensburg und Garmisch wissen, die sich untereinander nicht kennen, dann ist das Geheimnis ziemlich gut gehütet. Die Nachricht wird sich nicht weiterverbreiten, weil nämlich niemand Anlass oder Gelegenheit hat, darüber zu reden. Wenn aber auch nur fünf Leute aus dem Dorf, in dem Klaus, Klaudia, Kerstin und Konrad wohnen, von dieser Geschichte wissen, dann wird bald der ganze Ort davon hören. Es ist einfach sehr, sehr guter Klatsch. Und deshalb wird ganz bestimmt darüber geredet.

Vom Schulmädchen bis zum Greis gibt es fast niemanden, der diesen Mechanismus nicht kennt (und gelegentlich fürchtet). Vielleicht könnte irgendjemand auch den Programmverantwortlichen der ARD einmal davon erzählen. Die scheinen nämlich so ziemlich die Einzigen zu sein, die glauben, dass es völlig egal ist, wer mit wem worüber spricht. Das Einzige, was in ihren Augen zählt, ist, dass möglichst viele Menschen zur selben Zeit dasselbe tun. Also vor dem Fernseher sitzen und öffentlich-rechtliche Sender schauen. Dann steigt die Quote, und das freut die Programmverantwortlichen. Weil sie zwar ständig so schöne Begriffe wie Informationszeitalter und Mediengesellschaft im Munde führen, aber offenbar wenig davon verstehen. Denn sie machen einen Fehler, der keinem Stammgast im Dorfkrug je unterlaufen würde, der über Klaus und Klaudia redet: Sie verwechseln Öffentlichkeit mit Quote. Und wundern sich dann über den Bedeutungsschwund öffentlich-rechtlicher Sender.

Für Informationsprogramme aller Art ist die Quote ein ziemlich alberner Maßstab. Sie sagt nichts darüber aus, ob die jeweiligen Zuschauer so genannte Meinungsmultiplikatoren sind, ob sie das Programm regelmäßig sehen und welche Wirkung es hat. Anders ausgedrückt: Die Quote misst überhaupt nichts von dem, worauf es im Zusammenhang mit einer Nachricht ankommt.

Wenn Kerstin plötzlich auf dem Elternabend süffisante Blicke treffen, dann haben Multiplikatoren offensichtlich Einzelheiten über ihr Privatleben verbreitet. Im übertragenen Sinne ist es das, wovon Journalisten träumen: dass ihre Berichte nicht wirkungslos verpuffen. Früher hat das Fernsehen dafür traumhafte Bedingungen geboten. Kein anderes Medium war vergleichbar einflussreich. Wer informiert sein wollte, für den gehörten Sendungen wie „Report“, „Panorama“ und „Monitor“ zum Pflichtprogramm. Es gab halt keine Konkurrenz.

Inzwischen gibt es die. Wenn es Konkurrenz gibt, dann muss man für sein Produkt werben. Einige Mittel haben sich für Fernsehsendungen da recht gut bewährt: verlässliche Sendezeiten beispielsweise, regelmäßige Programmhinweise und die Erwähnung selbst recherchierter Exklusivmeldungen in den Hauptnachrichtensendungen. Wenn sich Publikum, Politiker und Printmedien über den Inhalt politischer Fernsehmagazine erregen, ist Öffentlichkeit hergestellt. Die Quote ist dann schnell egal.

Wer die Vormachtstellung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf dem Feld der politischen Berichterstattung zurückerobern will, kann dafür also einiges tun. Wer das nicht will, kann es aber natürlich auch so machen wie jetzt die ARD-Intendanten. Damit die „Tagesthemen“ auf einen früheren Sendeplatz rücken können, haben sie – verlässlichen Quellen zufolge – beschlossen, die Fernsehmagazine drastisch zu kürzen. Angeblich werden sie dadurch sowieso noch interessanter. Das sagt wenig über die Qualität der Magazine, aber einiges über die Konzentrationsfähigkeit der Intendanten aus.

Ach so, Unterhaltungsformate sollen ihre Länge übrigens behalten. Um international besser vermarktbar zu sein. Das zeugt von einem sehr merkwürdigen Verständnis des Programmauftrags einer gebührenfinanzierten Institution.

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