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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Auf sich allein gestellt

Dem Entführungsopfer Natascha Kampusch wird erneut Gewalt angetan: von den Medien

Einiges spricht dafür, dass Selbstvermarktungsproduzent Dieter Bohlen und seine Lebensgefährtin Estefania Küster sich getrennt haben. Ganz sicher ist das allerdings nicht. Denn die beiden schweigen. Das ist ihr gutes Recht. Und weil die Verletzung von gutem Recht teuer werden kann, prüfen die Hausjuristen der großen Boulevardblätter und Fernsehmagazine offensichtlich jedes gedruckte Komma und jeden gesprochenen Halbsatz darauf hin, ob daraus eine kostspielige Schadenersatzklage wegen Verletzung der Privatsphäre entstehen könnte.

Die Folge: Das Publikum muss sich weitgehend mit allgemeinen Informationen über die rechtliche Situation von Paaren, die in „wilder Ehe“ leben, begnügen. Herr Bohlen und Frau Küster haben ihre Ruhe. Medienprofis wissen, wie man so etwas erreichen kann. Opfer von Verbrechen sind selten Medienprofis. Je spektakulärer die Tat ist, unter der sie zu leiden hatten, desto größer ist die Gefahr, dass ihnen hinterher erneut Gewalt angetan wird. Von Medien.

Längst ist das eher die Regel als die Ausnahme. Und dennoch: was seit Tagen an Informationen, Halbwissen, Spekulationen über ein junges Mädchen verbreitet wird, das sich acht Jahre lang in der Gewalt eines Entführers befand, müsste eigentlich selbst abgebrühten Fernsehzuschauern den Atem stocken lassen. Nicht wegen der Monstrosität der Tat. Sondern wegen der Monstrosität von Redaktionen.

Es wird geplappert, bis die Mikrofone platzen müssten. Die Polizistin, die als Erste mit Natascha Kampusch sprach, erzählt von sexuellen Kontakten des Mädchens mit ihrem Entführer und davon, dass diese angeblich freiwillig stattgefunden hätten. Ein Polizeisprecher wiederholt diese Angaben, statt der Kollegin endlich den Mund zu verbieten. Ein ehemaliger Ermittler beschreibt die Mutter als kalt und lässt durchblicken, dass er das für verdächtig hält. Einen großen Schritt weiter geht eine frühere Hausmeisterin. Sie ist überzeugt, dass die Mutter das Mädchen seinerzeit verkauft hat. Auch das wird gesendet. Kommentarlos, distanzlos, ungeprüft. Psychiater, die mit Natascha Kampusch sprechen, äußern sich vor laufenden Kameras. Fotos der jungen Frau gibt es – noch – nicht. Aber dafür zahlreiche Computersimulationen, die den zeitlichen Abstand von acht Jahren zu überbrücken suchen.

Am hübschesten sieht die 18-Jährige auf einer Simulation des Vereins „Anti-Kinderporno“ aus. Der bezeichnet sich auf seiner Homepage selbst als Menschenrechtsinitiative. Ursprünglich sollte diese Computersimulation angeblich die Suche nach dem – damals vermissten – Mädchen erleichtern. Sie steht noch immer im Netz. Warum auch nicht? Schließlich haben TV-Sender bei der Veröffentlichung der Bildfantasie den Verein „Anti-Kinderporno“ als Quelle ganz groß eingeblendet. Das hilft. Wenn schon nicht Natascha Kampusch, so doch dem Verein.

Natascha Kampusch hat oft Pech gehabt. So auch beim Zeitpunkt ihrer Befreiung: da war sie nämlich bereits zu alt, um automatisch Anspruch auf Schutz zu haben. Ein paar Monate früher, und sie wäre noch nicht volljährig gewesen. So aber darf sich der Boulevard freuen. Eine 18-Jährige kann von niemandem daran gehindert werden, sich ausbeuten und missbrauchen zu lassen. Ganz selbstbestimmt, natürlich. Auch dann nicht, wenn sie acht Jahre von der Außenwelt abgeschottet war.

Das öffentliche Interesse an der modernen Variante des Kasper-Hauser-Dramas ist verständlich. Unbegreiflich aber ist es, dass sich keinerlei Protest gegen die offenkundige und fortwährende Verletzung der Persönlichkeitsrechte eines jungen Mädchens regt. Selbst die Feuilletons – sonst aus nichtigstem Anlass für jede Kulturkritik gut – schweigen. Ebenso wie die Fachkreise, die gerne immer mal wieder die Frage erörtern, wie groß das Recht auf Privatsphäre der Kinder von Prinzessin Caroline sein sollte.

Natascha Kampusch musste sich nicht nur selbst befreien. Sie ist auch ganz alleine für den Schutz ihrer Privatsphäre zuständig. Bislang ist sie dabei nur mäßig erfolgreich. Auf die Bitte, ihre Persönlichkeit zu respektieren, reagierte die Bild-Zeitung sofort. Mit einer Schlagzeile. „Mein Leben als Keller-Geisel“.

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