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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS ÜBER FERNSEHENNicht Heidi Klum ist für alles Elend der Welt verantwortlich – es gibt auch noch andere Frauen, die einiges missverstehen Der Feind im Friseursalon

Die Mädchen müssten endlich begreifen, dass sie Konkurrentinnen seien. Bisher gingen die viel zu kuschelig miteinander um. Sagt – nein, nicht Heidi Klum. Die ist nicht für alles Elend der Welt verantwortlich. Es geht auch gar nicht um den Posten des Weltstars, sondern lediglich um die Hoffnung, eine Lehrstelle zu ergattern. In einem Friseurgeschäft. Die Frau, die sich rücksichtslosere Teenies wünscht, ist die Chefin. Ein zauberhaftes Betriebsklima dürfte dort herrschen.

Drei Bewerber oder Bewerberinnen wetteifern auf ProSieben in der Doku-Soap „Deine Chance“ um Lehrstellen oder Jobs – als Tauchlehrerin, als Koch, als Schneiderin. Der Sender über die Produktion: „Es gilt, seinen Job ordentlich zu machen, die Chefs zufrieden zu stellen und sich von seiner besten Seite zu zeigen.“ Und: „Wann wird der Mitstreiter zum schlimmsten Feind im Rennen um die begehrte Stelle?“

Präziser kann man den uralten Traum von Kapitalisten nicht zusammenfassen. Wenn ihn nun allerdings bereits Geschäftsführerinnen kleiner Dienstleistungsbetriebe träumen, dann haben sie etwas missverstanden. Auch und vor allem hinsichtlich ihrer eigenen Interessen. Wie sich im späteren Verlauf der Sendung zeigt.

Eine Aufgabe der Bewerber im Friseurgeschäft besteht nämlich darin, einen Kunden während der Wartezeit alleine zu betreuen. Sie denken, es gehe um Freundlichkeit und guten Service – und scheitern deshalb kläglich. Während sie eine Tasse Kaffee holen, klaut der junge Mann alles, was er in die Finger bekommen kann. Die Botschaft: Vor allem die Kunden gehören überwacht, nicht umsorgt. Ob die Bewerberinnen hätten punkten können, wenn sie erst einmal die Mails des Mannes überprüft hätten? Für derartige Vorsichtsmaßnahmen gibt es ja inzwischen große Vorbilder.

Der „Feind“ ist also nicht nur die Kollegin, sondern auch der Kunde. Großartig. In einem solchen Salon will man sich wirklich bedienen lassen. Ob der Betrieb demnächst so marode ist, dass nur noch Unternehmensberater Hagen von Kabeleins helfen kann?

Als „entscheidenden deformierenden Schritt“ hat Gesine Schwan kürzlich im Spiegel den Weg der Neunzigerjahre beschrieben: von einer „Wettbewerbswirtschaft zu einer Wettbewerbsgesellschaft, wo Konkurrenz der einzige Motor und auch das einzige Kriterium für Leistung ist“. Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Wie es im wirklichen Leben jenseits von spielerischem Kampf zugeht, zeigt das Fernsehen übrigens auch. Gelegentlich. Gerade hat der WDR die glänzende Sendung „Leiharbeit undercover“ wiederholt. In dem Film werden die Erfahrungen des Autors Markus Breitscheidel geschildert, der sich ein ganzes Jahr lang im Niedriglohnsektor durchgeschlagen hat. Für drei bis sieben Euro die Stunde, ohne Rechte. Spannend, informativ. Und der Feind steht nicht im eigenen Lager. Manchmal weiß man doch wieder, wofür man Fernsehgebühren zahlt.

BETTINA GAUSFERNSEHEN

Auch auf Arbeitssuche in einer Doku-Soap? kolumne@taz.de Montag: Matthias Lohre erobert CHINA