BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN : Nur Jagd, nicht Politik
TRAGÖDIEN AUF SEE UND DEMNÄCHST ZWEIFELHAFTE PIRATEN-PROZESSE: DER KAMPF GEGEN DIE PIRATERIE IST EINDRUCKSVOLL FANTASIELOS
Die Ansicht ist so widerlegt wie unausrottbar, dass politisches Handeln sich durch militärische Aktion ersetzen lässt. „Die Welt als Wille ohne Vorstellung“ sagte mein Vater in spöttischer Abwandlung von Schopenhauer. Die Piratenjagd vor Somalia bestätigt ihn postum. Kaum etwas anderes zeugt von einem derartigen Mangel an Fantasie wie dieser Kampf, der nicht zu gewinnen ist.
Gewiss: Es wird weiter von machtvollen Siegen einer gut gerüsteten Kriegsmarine berichtet werden. Tragödien werden sich ereignen, Helden werden geboren. Bis das Interesse erlahmt. Und dann? Dann wird das Problem noch immer bestehen.
Somalia ist der Prototyp eines zerfallenen Staates. Seit 18 Jahren keine Regierung, keine Behörden, keine allgemein anerkannten Instanzen. Stattdessen: Bürgerkrieg, Hunger, Vertreibung. Viele erwachsene Somalier haben nie ein anderes Gesetz kennengelernt als das des Stärkeren. Und nun unterscheidet der Rest der Welt dort – Sprache der Nachrichtenagenturen – zwischen „Kriminellen“ und anderen Leuten? Niedlich.
Kriminelle kann es nur geben, wenn es ein Rechtssystem gibt. Das ist in Somalia nicht der Fall, und die Somalier haben wenig Grund, ihr Vertrauen internationalen Normen zu schenken. In ihren Gewässern wurde illegal gefischt, um Förderrechte für Öl haben ausländische Mächte mit unlauteren Mitteln gekämpft, Waffenhändler verdienen sich eine goldene Nase. Die US-Luftwaffe tötet bei Bombenangriffen auf angebliche Verstecke islamistischer Terroristen schuldlose Frauen, Männer und Kinder. Da erscheint Piraterie doch fast als lässliche Sünde.
„Wir sind eine Welt“: Dieser Slogan wurde lange Zeit als humanitärer Appell verstanden. Dabei stellt er lediglich eine Tatsache fest. Ohne politische Initiativen für Somalia werden sich Gefahren nicht erfolgreich bekämpfen lassen, die von diesem Land ausgehen. Niemand behauptet, dass ein Ausweg leicht zu finden wäre. Es ist nur eben unumgänglich, dass er gefunden wird.
Verstanden wurde das bisher offenbar noch nicht. Sonst würde man gefangene Piraten nicht ausgerechnet Gerichten in Kenia überstellen wollen, wo nun der erste Prozesstermin angesetzt ist.
Das Land war mehrfach Ziel von Terroristen, leidet selbst unter politischer Gewalt, und das Chaos in Somalia destabilisiert die Lage zusätzlich. „Ich besorge dir jederzeit für ein paar Dollar eine Kalaschnikow oder eine Handgranate“, sagte ein kenianischer Freund kürzlich bitter. „Somalische Flüchtlinge sind da gerne behilflich.“
Die Menschenrechtsbilanz in Kenia ist schlecht. Überfüllte Gefängnisse, eine korrupte Polizei und Justiz, regelmäßige Misshandlungen von Verdächtigen. Wer meint, ein Problem ließe sich lösen, wenn ein somalischer Pirat vor einem kenianischen Richter steht, hat vielleicht einen festen Willen. Aber eben keine Vorstellung von der realen Welt. Und sogar ein internationales Piraterie-Gericht wäre nicht mehr als ein Kampf gegen Symptome.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: Amélie Losier