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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS MACHT Die gefährliche Angst

Ägypten zeigt, welchen Schaden die undifferenzierte Sicht des Westens auf den Islam anrichten kann

Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um. Die Angst vor einer Machtübernahme der ägyptischen Muslimbrüderschaft genügte dem Westen lange, um ausgerechnet den Diktator Hosni Mubarak und seine Vasallen für geeignet zu halten, sich an die Spitze der Demokratiebewegung zu stellen. Das haben wir jetzt davon. Wenn jemand intensiv darüber nachgedacht hätte, wie man das Land an den Rand eines Bürgerkrieges bringen oder zumindest große Teile der ägyptischen Opposition nachhaltig radikalisieren und dem Westen dauerhaft entfremden könnte: eine bessere Methode hätte sich nicht leicht finden lassen.

Ja, natürlich besteht die Gefahr, dass Islamisten in Ägypten großen Zulauf gewinnen. Diese Gefahr wächst mit jedem Tag, an dem das Vertrauen in andere Institutionen und Personen schwindet. Aber nicht jeder gläubige Moslem ist ein Islamist. Was nichts daran ändert, dass zwischen Islam und Islamismus in säkularen, überwiegend christlichen Ländern oft kaum noch unterschieden wird. Das Verhältnis zwischen anderen Religionen und Staat sieht die Welt weit gelassener.

Am 29. Dezember 1991 erklärte der damalige Präsident Frederick Chiluba die Republik Sambia zu einer „christlichen Nation“. Inzwischen ist er lange nicht mehr Präsident, aber das Land noch immer eine „christliche Nation“ – sogar laut Verfassung. Einige sambische Christen, sogar Bischöfe, sind davon nicht begeistert: Sie fürchten, dass Landsleute, die anderen Religionen angehören, zu Bürgern zweiter Klasse werden.

Hat es damals einen Aufschrei des Entsetzens in der demokratischen Welt gegeben? Ist bis heute die Furcht groß, das afrikanische Land befinde sich auf dem Weg in eine Religionsdiktatur? Nein. Außerhalb Sambias hat sich für das Thema kein Mensch interessiert. Beim Fernseh-Quiz mit Günther Jauch würde die Frage nach der entsprechenden Verfassungsänderung vom Publikum wohl selbst dann als unfair und abseitig empfunden, wenn es um die Million ginge.

Das Desinteresse ist verständlich. Es gibt viele Länder, in denen die Menschenrechtsbilanz viel schlechter ist als in Sambia, und von Religionsdiktatur kann dort keine Rede sein. Hat ja auch niemand befürchtet, schließlich geht es um eine christliche Nation. Wäre es um die Ausrufung einer islamischen Nation – oder einer islamischen Republik – gegangen: Jauch könnte danach für 8.000 Euro fragen, und die Chance wäre groß, dass die richtige Antwort prompt käme. Der Islam wird inzwischen grundsätzlich für gefährlich gehalten. Also erregt alles, was mit ihm zusammenhängt, besorgte Aufmerksamkeit.

In keinem anderen Land der Welt leben so viele Moslems wie in Indonesien: 200 Millionen. Der Westen stützte dort mehr als drei Jahrzehnte lang den Militärmachthaber Haji Mohamed Suharto. In der Zeit des Kalten Krieges genügte es, dass er Antikommunist war – so, wie es heute reicht, dass jemand sich erfolgreich als Garant gegen den Islamismus verkauft.

In Indonesien waren islamische Organisationen lange die einzige Plattform der Opposition. Kurz nachdem Proteste der Bevölkerung 1998 den Diktator zu Fall gebracht hatten, wurde ein bekannter Moslemführer zum Präsidenten gewählt. Heute ist Indonesien die drittgrößte Demokratie der Welt, gestaltet nach westlichem Vorbild, getragen von der Zivilgesellschaft. Das ist allerdings das Verdienst seiner Bevölkerung, nicht das Verdienst des Westens.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier