BERNHARD PÖTTER über KINDER : Urinprobe direkt nach dem Kreißsaal
Alle reden von den Dopingsündern in Athen. Aber niemand über die unverzichtbaren Father’s Little Helpers im Alltag
„Papa, was ist Doping?“
Da bin ich nun wirklich selber schuld. Was musste ich Jonas auch erlauben, seinen Jahreskonsum an Fernsehen in zwei Wochen aufzubrauchen. Sicher, man lernt eine Menge, wenn man von abends bis morgens Olympische Spiele guckt: dass die Turnflöhe bei den Frauen auch nicht viel größer sind als unsere knapp dreijährige Tina. Dass auch Dänen schwarz sein und Wilson Kipketer heißen können. Dass es auch für Kerle mit dicken Muckis völlig in Ordnung ist, in der Öffentlichkeit zu heulen. Dass Stabhochspringer auch einen Helm aufsetzen. Und dass manchen Athleten eben ihre Medaillen wieder weggenommen werden. Wegen Doping.
Also: „Papa, was ist Doping?“
Die einfache Antwort wäre jetzt: Do Ping ist der chinesische Sportminister. Haha. Aber manchmal lassen sich tief schürfende Fragen nach den letzten Dingen nicht mit einem dummen Witz abtun.
Also: „Doping ist, wenn Sportler Medikamente schlucken, damit sie schneller oder stärker werden. Das ist verboten, weil sie damit schummeln.“
Die Neugier meines Sohnes ist geweckt. Kurz wendet er den Blick vom Doppel-Tontaubenschießen.
„Papa, machst du auch Doping?“ Ich?
„Na, wenn du joggen gehst.“
Unglaublich, was der eigene Sohn einem zutraut. Natürlich lehne ich Doping aus gesundheitlichen, sportpolitischen, ethischen und bestimmt noch ein paar anderen Gründen ab. Obwohl – als es im letzten Jahr beim Berlin-Marathon überhaupt nicht so gut lief, hätte ich mich bei Kilometer 32 zu einer ordentlichen Dosis Erythropoietin (Epo) überreden lassen. Und wenn ich lese, dass Forscher in San Diego mit ein bisschen Rumdoktern an einem einzigen Gen eine extrem ausdauerfähige „Marathon-Maus“ geschaffen haben, frage ich mich schon, ob das ganze abendliche Gehechel im Park noch zeitgemäß ist.
„Naja“, sagt Anna, als wir abends, ausgepumpt, weil ohne Epo, auf dem Sofa sitzen. „Das kommt natürlich nur darauf an, was man als Doping definiert. Tun wir nicht auch alles, um unsere Leistung zu erhöhen?“
Ich greife noch einmal nach dem Rotwein, den ich brauche, damit das Gehirn auf Trab kommt. Anna hat Recht. In 9,79 Sekunden (leider zu starker Rückenwind) habe ich eine erschreckend lange Liste von Father’s Little Helpers zusammengestellt:
6.58 Uhr: Aspirin nach der weißen Nacht mit Baby Stan.
7.18 Uhr: Roiboos-Tee zur Ordnung der Gedanken.
7.32 Uhr: Amphetamine vor dem Wecken der Kinder.
7.33 Uhr: Barbiturate nach dem Wecken der Kinder.
9.15 Uhr: „Sandino Dröhnung“ für die Zeitungskonferenz.
9.30 Uhr: Iberogast nach „Sandino Dröhnung“.
10.47 bis 15.17 Uhr: Marabou-Hel-Nöt-Schokolade zur Sicherstellung der täglichen taz.
17.58 Uhr: Marihuana zur Feier der täglichen taz.
18.41 Uhr: Cocain und Fantain auf dem Kindergeburtstag.
19.22 Uhr: Kohletabletten nach dem Kindergeburtstag.
23.07 Uhr: Viagra.
Und immer zwischendurch: Ilja Rogoffs Knoblauchpillen.
„Weißt du was, Jonas“, sage ich dann in einem Gespräch unter Männern, „ich muss sagen, ich mache auch ganz schön viel Doping.“ Nicht für den Sport, sondern fürs Überleben. Und ich hoffe, dass es im wirklichen Leben nicht auch unangekündigte Kontrollen der Dopingfahnder gibt. Man stelle sich vor: Direkt aus dem Kreißsaal oder von der Abiturfeier würde der jubelnde Vater zur Urinprobe gerufen. Im ersten Fall drohte ihm eine lebenslange Sperre. Im zweiten Fall würde ihm das Resultat seiner 18-jährigen Erziehungszeit aberkannt.
„Kann denn überhaupt einer gewinnen ohne Doping?“, will Jonas wissen. Ja, das sind Fragen! Bin ich das IOC?
Ich weiß nur eines: Es hat sich gelohnt, Jonas so viele Wettkämpfe sehen zu lassen. Und man kann über die Olympia-Berichterstattung im Fernsehen meckern, wie man will: Für mich haben ARD, ZDF und Eurosport ihren Bildungsauftrag vorbildlich erfüllt.
Fragen zu Little Helpers? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN