BERNHARD PÖTTER über KINDER : Puuh, ist das heiß hier im Bundestag
Früher fiel bei Hitzefrei der Füller. Heute gibt’s Klimaanlagen und Kanzler Schröder, der diese Institution rettet
Jonas war an diesem Tag kurz vor den Ferien ehrlich erstaunt. „Weißt du was, Papa?“, sagte er und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. „Heute hatten wir nach der vierten Stunden frei. Hitzefrei. Einfach so. Nur, weil es heiß war.“
„Toll“, sagte ich.
„Warum kriegen wir Hitzefrei?“
„Weil ihr sowieso nichts lernt, wenn es zu heiß ist.“
„Hmm.“ Jonas dachte nach. „Papa, kriegen wir dann auch montags frei? Da lernen wir auch nix.“
„Hitzefrei“ klingt nach meiner alten Schule. Nach gebohnerten Böden, ewig langen Mathestunden und dem Geruch der frischen Schulhefte. Nach einer Zeit, in der Pisa noch eine italienische Stadt war. Hitzefrei war die Hoffnung, die uns schon morgens beim Anziehen nur die luftigsten T-Shirts aussuchen ließ. Die uns vor dem Thermometer am Büro der Rektorin versammelte. Hitzefrei war die Begnadigung, die uns zu den ungeplanten freien Stunden auf dem Fußballplatz verhalf. Die uns gewährt wurde, ohne dass wir irgendetwas dafür getan hatten. Hitzefrei war der Beweis, dass es eine höhere gnädige Macht gab, die selten, aber effektiv in unser Leben eingriff. Ohne Hitzefrei hätte es Frau Schnorsch beim Religionsunterricht noch schwerer gehabt, uns von der Existenz Gottes zu überzeugen.
Parallel zum Verschwinden der Transzendenz aus dem öffentlichen Raum ist auch Hitzefrei nur noch in Reservaten anzutreffen. Schon das gottlose Mittelstufenzentrum, das neben unser alten Schule aus dem Boden gestampft wurde, hatte nicht mehr Hitzefrei, sondern eine Klimaanlage. Die Vorsehung war dort durch einen Automaten ersetzt wurden. Nach Hause ging es nur, wenn die Klimaanlage ausfiel. Das Glück der Schüler war kein metaphysisches Ereignis, sondern ein banaler Störfall. So, wie man in meiner Jugend begann, auf Demos statt auf Wallfahrten zu gehen. Offiziell gibt es auch heute noch nach der vierten Stunde frei, wenn es um 10 Uhr morgens wärmer als 25 Grad ist. Aber immer mehr Gebäude machen sich ja ihr Klima selbst – trotz Treibhauseffekt.
Eine besonders coole Variante von Hitzefrei hat mich während des Studiums beeindruckt. Wir lernten Harry Trumans Wort: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“ Wer den Druck nicht erträgt, so meinte der US-Präsident, der immerhin ein paar Mal kurz davor stand, den dritten Weltkrieg auszulösen, der sollte sich lieber davonmachen. Zu Beginn des Studiums fand ich das ein markiges Wort, das Weicheier aus dem öffentlichen Leben fern halten könnte. Am Ende des Studiums wunderte ich mich, dass niemand gesagt hatte: „Mr. President, wenn die Küche zu heiß wird, können wir ja die Fenster aufmachen.“
In einem hatte Truman allerdings Recht: Man kann nicht mehr einfach abhauen, wenn es einem zu viel und zu heiß wird. Denn parallel zum Aufstieg der Klimaanlagen hat sich auch in unseren Breiten der Zwang breit gemacht, cool zu bleiben. Lieber setzen wir die Sonnenbrille auf, drehen die Klimaanlage hoch, krempeln die Ärmel runter und arbeiten weiter. Es sei denn, man heißt Gerhard Schröder und ist Erster Angestellter des Volkes. Dann kann man schon sagen: Puuh, ist das heiß hier im Bundestag. Ich schwitze ja die feinen Sessel durch. Und im Bundesrat wird es auch immer schwüler. Lasst uns mal beim Wähler die Temperatur messen.
Ob das klappt? Mein alter Schulfreund Detlev unterlag zeit seiner Schullaufbahn dem Irrtum, der Stoff aus den per Hitzefrei ausgefallenen Stunden sei verdampft. Das wurde natürlich nachgearbeitet, wenn die Temperatur am nächsten Tag 0,2 Grad unter der magischen Grenze lag. Deshalb geht es Drückebergern unter dem Vorwand der Hitze langfristig auch nicht gut.
Es sei denn, man heißt Gerhard Schröder – und will raus aus der Küche, will nicht mehr Koch sein und die Grünen zu Kellnern machen. Tatsächlich gibt es nicht plötzlich mehr offene Stellen, ein bezahlbares Rentensystem oder sanierte Krankenkassen, nur weil der Kanzler sich Hitzefrei nimmt. Es steigt nur eines: die Chance auf den Schulverweis.
Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zur Temperatur? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE