BERLINER STRASSEN : Das Gröbenufer, die Historiker vom Café Jenseits und eine Geschichte im Wedding
HELMUT HÖGE
Nun nimmt auch in Westberlin die Ortsverwirrung durch Straßenumbenennungen zu. Kürzlich bekam erneut eine Straße in Kreuzberg einen neuen Namen: das Gröbenufer. Eine kurze Promenade zwischen der Oberbaumbrücke und dem ehemals alternativen Fabrikkomplex in der Pfuelstraße.
Mit dem Gröbenufer sollte einst der deutsche Kolonialpionier Otto Friedrich von der Groeben geehrt werden. Dies geschah im Zusammenhang der zur selben Zeit 1896 eröffneten Gewerbeausstellung in Treptow. Dort fand die 1. deutsche Kolonialausstellung statt, auf der „aechte Afrikaner“ das Leben in den Kolonien darstellten. Laut dem Berliner Geschichtsforum „gründete Gröben 1683 an der westafrikanischen Küste im heutigen Ghana eine Niederlassung zum einzigen oder hauptsächlichen Zweck des Sklavenhandels“.
Einige Historiker im Café Jenseits am Heinrichplatz finden das überzogen: Gröben schloss sich mit 17 polnischen Adligen an, die 8 Jahre lang den Nahen Osten bereisten. 1680 kehrte er nach Brandenburg zurück. Damals gab es noch kein Preußen, erst recht kein Deutschland. Aber der Kurfürst wollte schon mal seine Interessen in Afrika ausloten. Er beförderte Gröben zum Major und schickte ihn mit drei Kriegsschiffen an die Küste des heutigen Ghanas, wo Gröben von drei Ahanta-Häuptlingen einen Fels am Meer erwarb, auf dem seine Männer ein „Fort“ errichteten. Die Hälfte erkrankte dabei, etliche starben.
Das Fort wurde 1683 „Groß Friedrichsburg“ genannt. Gröben war da schon wieder auf der Heimreise. Der Kurfürst belohnte ihn mit einer Anwartschaft auf Marienwerder. 1686 trat Gröben in die Dienste der Venezianer – und zog mit diesen gegen die Türken, 1719 diente er dem König von Polen. Er starb 1728 auf seinem Marienwerder Anwesen. Die Café-Jenseits-Historiker sehen in ihm eher einen „Forschungsreisenden“ als einen Vorbereiter des deutschen Sklavenhandels. In der Berliner Handpresse erschien 1981 Gröbens „Guineische Reise-Beschreibung“ aus dem Jahr 1683.
Die Kreuzberger Straßenumbenenner wollten es sich nun nicht so einfach machen wie seinerzeit die Weddinger Bezirkspolitiker. Dort sollte Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine üppige „Kolonialschau“ mit aechten Menschen und Tieren entstehen.
Der Investor – Hagenbeck – kam jedoch noch vor Baubeginn zu der Einschätzung, dass eine solche zudem permanente Schau sich nicht mehr lohne. Die Konkurrenz war zu groß geworden, das Publikumsinteresse ließ nach. Stattdessen wurde das Gebiet Afrikanisches Viertel genannt und von Mies van der Rohe und Bruno Taut mit Mietshäusern bebaut. Straßen wurden nach deutschen Kolonien und Kolonialoffizieren benannt.
1939 benannte man außerdem noch eine Allee nach Carl Peters – dem bis dahin brutalsten deutschen Kolonialpolitiker. Die Allee wurde jedoch 1986 aufgrund von Bürgerprotesten umbenannt – nach dem CDU-Politiker Hans Peters, was der in Berlin lebende „Afrikanische Diaspora“-Forscher Joshua Kwesi Aikins als eine bloße Umwidmung bezeichnete, denn sie heißt nach wie vor Petersallee.
So billig wollte man es sich in Kreuzberg im Falle des Gröbenufers nicht machen – da wäre dann eine Ehre für die immer noch weitverzweigte, aber politisch unbedeutende Adelsfamilie „vom Gröbenufer“ bei rausgekommen. Das Ufer heißt nun Mai Ayim. Eine deutsche Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung, die eigentlich Gertrud Opitz heißt. Ihr Vater stammte aus Ghana. In den 80er-Jahren mitbegründete sie in Berlin die „Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“ sowie die „Critical Whiteness Studies“ hierzulande, 1986 veröffentlichte sie das Buch „Farbe bekennen“. Zuletzt arbeitete sie als Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit. „Nachdem sie die Diagnose Multiple Sklerose mitgeteilt bekommen hatte, verzweifelte sie,“ heißt es bei Wikipedia. „Am 9. August 1996 stürzte sie sich von einem Hochhaus in den Tod.“ Seit 2004 gibt es einen nach ihr benannten Literaturpreis – und nun also auch noch eine Spreeuferpromenade.