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Archiv-Artikel

BERLINER PLATTEN Mit Icke & Er und P.R. Kantate kommen einem Hiphop und Reggae doch gleich ganz heimisch ans Ohr

Et is ja nu’ so: Dat Berlinerische scheint sich janz prima zu eignen zum Rappen. Oder ooch Toasten, wie der Schamaikaner dit nennt, diesen Sprechjesang. Janz jroß raus kommen derzeit Icke & Er, Spandauer Lokalpatrioten und Underground-Helden. Nachdem sie mit Videoclips auf YouTube Furore machten und es sogar bis ins Fernsehen schafften, legt das Duo sein erstes Album vor. Das heißt „Mach et einfach!“, und natürlich gibt es (oder exakter: jibt et) nicht eine, nicht zwei, sondern mindestens gleich drei Berlin-Hymnen. Eine heißt, sehr überraschend, „Berlin“, eine weitere „Berliner Girls“. Die dritte nennt sich „Keen Hawaii“ und erzählt vom Sommer in der Hauptstadt und dass Urlaub, das sei ja wohl wissenschaftlich erwiesen, sowieso „Kokolores“ sei.

Musikalisch wird nicht gerade das Rad neu erfunden, aber Beatbastler Er spielt souverän mit der Hiphop-Geschichte, zitiert die bekanntesten Stile des Genres, bewegt sich aber meist im gemäßigten Tempo. Der Einfluss des Westcoast-Raps der frühen Neunzigerjahre ist unüberhörbar, Dr. Dre darf getrost als Pate des Spandauer Sounds gelten, und das passt ja auch prima, liegt schließlich allet im Westen.

Textlich aber wohnen wir einer kleinen Revolution bei: Während sich Hiphop immer noch mit dem Authentizitätsgebot herumschlägt, spielen Icke & Er sehr offensichtlich wohlkalkulierte Rollen in einer Genre-Parodie. Vor allem führt Rapper Icke die Dialektik in den Dialekt-Rap ein. Das war schon virulent in ihrem YouTube-Hit „Richtig geil“, der nur Widersprüche wie diesen aneinander reihte: „Bin ich morgens jut drauf is dit richtig geil./ Hab ick urst scheiß Laune is dit richtig geil.“ Dieser Signatur-Track fehlt zwar auf dem Debütalbum, aber in diesem Geiste (natürlich: Jeiste) geht es fröhlich weiter auf gleich mehreren Tracks. So ist „Icke?“ nicht nur eine liebevolle Referenz an den Dr.-Dre/Snoop-Dogg-Klassiker „Nuthin’ But A ‚G‘ Thang“, sondern auch eine Übung in gnadenloser Beliebigkeit: „Wer hat viele Frauen und keene Trulla? Icke“ ist da nur eine von vielen Kontradiktionen. Da passt, dass Hamburger Morgenpost und Berliner Kurier längst enthüllten, dass die Geheimniskrämer aus Spandau in Wirklichkeit zwei Werber aus Hamburg seien.

Ganz sicher ein waschechter Berliner ist P.R. Kantate. Dafür ist er auch nicht so lustig auf seinem zweiten Album „Dick in Jeschäft“. Auch hier kündet bereits der Titel von der Mundart. Nur: Statt Hiphop gibt es Reggae. Bekannt wurde Kantate 2003 mit „Görli, Görli“, das den Reggae-Standard „Girlie, Girlie“ mit einem deutschen Text versah. Das systematische Klauen und Neuinterpretieren ist eine Dancehall-Tradition und auch bei Kantate Grundprinzip. Diesmal werden unter anderem „Blaue Augen“ von Ideal, „Blueprint“ von den Rainbirds und „Da Da Da“ von Trio verhackstückt. Und aus Queens „Radio Gaga“ wird „Radio Ragga“. Dazu kann man meistens ganz gut tanzen, und bisweilen ist es sogar recht witzig, wenn auch lange nicht so lustig wie Icke & Er. Dafür allerdings weiß man wenigstens, wer dieser P.R. Kantate ist. Nämlich ein gewisser Richard Haus, Jahrgang 1974.

THOMAS WINKLER

Icke & Er: „Mach et einfach!“ (Four Music/Sony)

P.R. Kantate: „Dick in Jeschäft“ (Stock & Stein/Groove Attack), Release-Party: 6. Juli im Lido