BEI DER BÜRGERVERSICHERUNG BLEIBEN DIE GRÜNEN AUFFALLEND DIFFUS : Sorge um die Klientel
Das war unsere Idee! So rufen die Grünen und reklamieren damit die Bürgerversicherung für sich. In der Tat tut die SPD gerade so, als könne sie sich den Orden für die Rettung des Gesundheitssystems bereits anheften. Dabei waren es kluge Köpfe bei den Grünen, die schon vor Jahren forderten, das Schicksal der Krankenkassen von den Löhnen abzukoppeln und gleichzeitig die wachsenden Kapitaleinkünfte in das System einzubeziehen.
Doch erst einmal will die Koalition die Bürgerversicherung noch bis zur Wahl 2006 in Ruhe diskutieren. Erst einmal soll der Gedanke von Gerechtigkeit und Effizienz verbreitet werden. Dabei müssten die Befürworter der Bürgerversicherung jetzt erklären, wie genau das System funktionieren soll. Aber das hieße eben auch: Sie müssten sich entscheiden, wen sie belasten und wen sie entlasten wollen, wen sie also gegen sich aufbringen und wen sie für sich einnehmen wollen. Die SPD hat mit ihrer Forderung nach einer Sondersteuer auf Zinsen und Dividenden zumindest einen Wimpel gesetzt. Die Grünen dagegen bleiben im Diffusen: Arbeitgeber entlasten, aber in der Verantwortung halten. Bemessungsgrenze erhalten, aber Vermögende in die Pflicht nehmen. Mit dem gestern vorgelegten Papier ist alles und nichts gesagt, aber der Wimpel weist in die andere Richtung: Gutverdiener sollen sich nicht aufregen. Vielleicht kommt es ja nicht so dicke.
Damit aber bestätigen die Grünen die Vermutung, dass auch sie zunehmend reine Klientelpolitik betreiben. Sie haben offenbar erkannt, dass die urgrüne Idee namens Bürgerversicherung ihre eigene Wählerschaft spalten könnte. Denn die Belastungsgrenze wird mitten durchs studiert-bürgerliche Lager verlaufen. Das ist zwar einerseits für postmaterialistisches Denken offen, andererseits aber zunehmend geneigt, seinen Wohlstand zu verteidigen. Doch es hilft ja nichts: Wenn die Grünen das Copyright an der Bürgerversicherung zurückholen wollen, müssen sie mindestens so konkret werden wie die SPD. Sie müssen ihre eigenen Leute darüber aufklären, wer draufzahlt. Sonst verlieren sie ihren selbst verliehenen Titel „Reformmotor“ und bewerben sich für die Auszeichnung „Ankündigungsmotor“. ULRIKE WINKELMANN