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Archiv-Artikel

BEI DEM EINEN HÖRT DER SPASS DA AUF, WO ER BEI DEM ANDEREN ANFÄNGT Halloween zwischen Hochhäusern

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

An Halloween hat es in der Hamburger Siedlung Mümmelmannsberg ein bisschen Ärger gegeben. Mümmelmannsberg kenne ich vom Warten auf den Bus in die Boberger Dünen. Um Mümmelmannsberg herum gibt es eine schöne Natur. In Mümmelmannsberg selbst ist es herb. Die Hochhäuser sind weniger triumphaler Ausdruck modernen Städtebaus, als Zeichen von Armut.

In Mümmelmannsberg ist der Anteil an Migranten und Arbeitslosen, verglichen mit dem Rest Hamburgs, relativ hoch. Wenn man hier auf den Bus in die Boberger Dünen wartet, fühlt man sich fremd und ein wenig ungemütlich. Ich warte lieber in Wilhelmsburg oder auf der Veddel, als in Mümmelmannsberg, obwohl die oben genannten Kriterien auch auf diese Stadtteile zutreffen. Migrantenkinder wachsen oft in Verhältnissen auf, die sich aus der schwierigen Lebensgeschichte ihrer Familie herleiten. Die Geschichten sind so verschieden wie Geschichte insgesamt kompliziert.

Wenn es dann an einem Tag wie Halloween eine Möglichkeit gibt, sich zusammenzurotten, Mehl zu werfen, Eier zu werfen, Feuerwerk zu zünden, zu tanzen, zu wüten und zu toben, dann ist das ein Ausdruck von Lebensfreude und ein Ausleben von Wut zugleich. Jeder Jugendliche, der an Halloween dieses Jahr in Mümmelmannsberg gegen Passanten und gegen die Polizei mitgetobt hat, hat andere Gründe gehabt und andere Grenzen gefühlt. Bei dem einen hört der Spaß da auf, wo er bei dem anderen erst anfängt. Der eine wollte nur Spaß haben und hat plötzlich gemerkt, dass Randalieren auch Spaß ist.

Circa zwanzig von den Halloween-„Feiernden“ sollen von sich selbst gesagt haben, dass sie Salafisten seien. Sagt die Presse. Mir ist nicht ganz klar, wie die zwanzig Jungsalafisten sich während der Straßenschlacht geoutet haben sollen, aber jemand muss sie gezählt haben, denn über die Zahl Zwanzig ist sich die norddeutsche Presse relativ einig. Was das bedeutet, wenn hunderte Mümmelmannsberger Jugendliche einmal so richtig die Sau rauslassen, konnte die Polizei an Halloween miterleben.

In anderen Stadtbezirken, heißt es einhellig in den Nachrichten weiter, sei es weitgehend ruhig geblieben. In Blankenese hat es keine Straßenschlacht gegeben. Ich war zufällig an Halloween in Blankenese und mit mir sind ein paar Jugendliche aus der Bahn gestiegen, die mich faszinierten, denn sie waren von Kopf bis Fuß teuer gekleidet, mit ihren wildledernen Collegejacken und ihrem friseurgestutzten Blondhaar, so dass jede Beschreibung, und sei es in einer Kolumne, sich den Vorwurf eines Blankeneser Teenager-Klischees gefallen lassen müsste.

Was würde so ein Junge machen, frage ich mich, wenn er in Mümmelmannsberg im zwölften Stock zwischen Jungsalafisten, in einer Wohnung mit dem kriegstraumatisierten Vater, der depressiven Mutter und den vier kleinen Geschwistern von Hartz IV leben müsste? Wo würde er mit seiner Wut hingehen? Wie würde er sich da rausarbeiten? Mit Fleiß und in Demut? Würde er es besser machen? Wer in Mümmelmannsberg wohnt, ist stigmatisiert, schon weil er in Mümmelmannsberg wohnt.

Solche Ausschreitungen machen es nicht besser und den Menschen, die da wohnen, nicht leichter. Von der anderen Seite, dem kommentierenden Hass-Rentner aus Welt und Fokus zum Beispiel, kommen Gewaltvorschläge zur Lösung des Problems, und so stehen sich am Ende alle mit Gewalt gegenüber.

Dass Halloween ein angeblich aus Amerika eingeführter Spuk ist, der in deutschen Landen nichts zu suchen hat, weil der Deutsche seine eigenen ärmlichen Resttraditionen zu pflegen hat, darüber sind sich aber fast alle einig. Nur Deutsches soll hier gefeiert werden. Erst recht von den Migrantenkindern. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.