BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Arabischer Abend mit der Avantgarde
Frauen sollten sich sozial schwächere Partner suchen, meinen die Forscher. Passt das auf Susannes neuen Freund?
Vor jenem Abend beim Libanesen hatte meine Freundin Bine nur ein „ruhiges Geburtstagsessen“ angekündigt. Bine wurde 46. „Ruhiges Geburtstagsessen“ bedeutet bei Bine, dass eine buntgemischte Klientel am Tisch versammelt ist, denn in Bines Herz befindet sich ein Magnet, der alle Randständigen dieser Welt geheimnisvoll anzieht. Neben mir sitzt Günther, ABM-Karrierist und jetzt arbeitslos. Dann ist Doris gekommen, sie betreibt ein Domina-Studio in Berlin-Wilmersdorf. Und auch Susanne mit ihrem neuen Freund Yassin aus Ägypten hat sich eingefunden.
„Arabian culture is hard to understand for us, isn’t it?“, höre ich Bine gerade verkünden, während ich Kichererbsenbrei auf meinen Teller lade. Susanne und Yassin antworten nicht. Susanne ist 42 Jahre alt und Krankengymnastin. Sie hat Yassin vor acht Wochen beim Tanzen im „Far Out“ kennen gelernt, einer Disco am Ku’damm. Yassin ist 15 Jahre jünger als sie und hat keine Arbeitserlaubnis. Angeblich gibt es ja in Deutschland jede Menge älterer, gebildeter Single-Frauen, die keine männlichen Pendants mehr finden. Diese Frauen, sagen die Forscher, müssten sich nur in den sozial schwächeren Milieus etwa auch der Immigranten umschauen, um einen Partner zu bekommen. Susanne und Yassin sind also Avantgarde. Theoretisch.
„Arabian culture is very different. Egyptian culture, Lebanese culture, Iraqi culture are all very different“, sagt Yassin jetzt zu Bine. Er ist groß, schmal und hat eine Stirnglatze. Susanne hat mir schon erzählt, dass Yassins Vater Lehrer in einem ägyptischen Dorf war. Ich verspüre den Drang, mich in das Gespräch einzuschalten. „But islamic culture oppresses women, you can’t deny that“, platze ich heraus.
Plötzlich fühle ich mich wie damals, als 17-Jährige, auf Sprachkurs in London. Es waren die diskussionsfreudigen Siebzigerjahre und ich radebrechte am Piccadilly-Circus mit Mittelschicht-Studenten aus Bombay über das Problem des Hungers in der Welt. „Islamic culture respects women“, sagt Yassin und grinst, „women are special“. Diese Sätze sagt er nicht zum ersten Mal. Ich sehe uns Frauen auf einmal aus seiner Perspektive. Ein junger Mann, der um seine wirtschaftliche Perspektive kämpfen muss, und wir mittelschichtige Frauen mit unseren immergleichen Sprüchen. Verlegen greife ich mir ein Käseröllchen vom Vorspeisenteller.
Ich weiß von Susanne, dass Yassin bisher nur mit Falafelbacken in einem Imbiss ein wenig Geld verdienen konnte. Mehr als ein Schwarzjob ist nicht drin für ihn in Deutschland. Susanne finanziert ihm den Lebensunterhalt. Sie hat mir geschildert, wie sie sich damals, nach dem ersten Abend in der Disco, erst einige Wochen „nur so“ trafen, ohne Sex. Wer zu schnell mit einem arabischen Mann ins Bett gehe, gelte nichts, hatte sie mir erklärt. Als Yassin erfuhr, dass sie nach einer Krebsoperation nur noch eine Brust hat, habe er „ziemlich okay“ reagiert. Heute Abend sieht Susanne fröhlich aus.
Auch Doris taut langsam auf. Ihre Geschäfte im Domina-Studio laufen immer noch gut. Die Stammkunden halten ihr die Treue. „Das Wichtigste in einer Beziehung“, sagt Doris mit gedämpfter Stimme zu mir, „ist doch der Respekt voreinander. Egal, ob der andere aus einer fremden Kultur kommt oder nicht.“ Ich nicke. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, einen Partner zu haben, der von Anfang an ein bisschen fremd ist. Ich kenne deutsche Akademikerpaare, die sich hinter der Fassade der bürgerlichen Ehe gnadenlos gegenseitig heruntermachen. Jeden Tag. Da hilft auch der gleiche kulturelle Hintergrund nichts.
Ich leere mein Glas mit dem schweren libanesischen Rotwein. Wärme steigt in mir auf. Ja, Respekt ist das Wichtigste. Und natürlich die Ökonomie. Die andern diskutieren über die Schwierigkeit der Immigranten, hierzulande eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. „It’s hard to find work, even for germans“, meint Günther. „Life is tough for everybody“, sagt Yassin. Alle nicken. Ich werde das Sprachkurs-Gefühl aus meinen Teeniezeiten nicht los. Wir alle sind 17 und wissen noch wenig von der Welt. Eigentlich gar nicht so schlecht.
Fragen an Susanne? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL