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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE Schwarzarbeit im Zeichen des Pluto

Die Regierung agiert chaotisch. Selbst Doris, die Domina, sucht lieber Hilfe bei einem arbeitslosen Anstreicher

Meine Freundin Chrissy teilt die Menschen grob in zwei Gruppen auf. Die einen, sagt Chrissy, versuchen, groß rauszukommen. Die andern mühen sich ab, nur irgendwie durchzukommen.

Ich habe immer mehr Bekannte aus der zweiten Gruppe. Es hat sich einfach so ergeben.

Vergangenen Freitag hat mich Chrissy zu Doris’ Geburtstagsessen beim Griechen mitgeschleppt. Doris führt ein Dominastudio in Berlin-Wilmersdorf, sie ist sozusagen Alleinunternehmerin, wenn man mal von ihrer Bulldogge Pitzi absieht, die das berufliche Geschehen im Studio überwacht. Doch die Ärzte, Polizisten und Oberkellner, die Doris’ Stammkundschaft stellen, machen sich rar. Vielleicht läge das ja an der allgemeinen Sparwut, sagt Doris.

„Schon chaotisch, dieses Getue um die Kanzlerschaft“, setze ich an, während wir auf Moussaka und Souvlaki warten.

Doch Doris, Chrissy und die anderen greifen den Faden nicht auf. Doris hat ein paar Kreise und Linien auf eine Serviette gekrakelt. Obwohl sie im Moment fast pleite ist, kann sie ja nicht zum Arbeitsamt. Förderung für ihr Ein-Frau-Unternehmen kriegt sie nicht. Und in ihren alten Beruf als Friseurin will sie auch nicht mehr zurück mit ihren 46 Jahren. „Im Zeichen des Pluto passieren große Dinge“, höre ich Doris verkünden, „der Astrologe hat mir gesagt, dass die Geschäfte bald wieder besser laufen. Doch ich muss noch etwas Geduld haben, auf eine günstigere Konstellation warten“. Doris, so stellt sich heraus, ist an eine astrologische Lebensberatung geraten. Sie wählte eine 0190er-Nummer aus einer der Kleinanzeigen. Am anderen Ende erklang eine tiefe männliche Stimme mit leichtem Akzent.

„Das erste Gespräch war kostenlos“, erzählt Doris begeistert, „und jetzt kennen die mich schon, die sprechen mit dir ganz vertraut, die machen mir immer Mut.“ Mit ihrer Berufstätigkeit musste Doris am Telefon nicht hinter dem Berg halten. „Die nehmen dich so, wie du bist.“

Nur einmal habe sich der Herr vertan: Er prophezeite Doris, dass ihr Unternehmen erst nach einer Durststrecke von zwei Jahren wieder laufen würde. „Doch zwei Jahre halte ich so nicht mehr durch mit der hohen Miete“, erklärt Doris ein bisschen entrüstet.

Wir sagen nichts. Wir könnten jetzt natürlich fragen, wie viel die Gespräche so kosten. Aber keine will das Wort ergreifen. Und mir ist natürlich sofort die Geschichte mit Murat eingefallen.

Murat war kürzlich mit seiner Frau Sibel bei uns am Nachmittag zum Tee. Sibel hatte früher mal unseren Nachwuchs betreut. Murat, gelernter Anstreicher, hatte seinen Job bei einem Handwerksunternehmen verloren und sich neu umgetan, erzählte er uns an jenem Nachmittag. Ein Bekannter vermittelte ihn in das Telefonbüro einer 0190er-Nummer als astrologischer Berater. Dem Arbeitsamt sagte er nichts. Schließlich handelte es sich um einen Schwarzjob.

„Ich habe einfach immer nur die Geburtsdaten der Kunden in den Computer eingegeben und dann das Horoskop abgelesen“, schilderte Murat. Die persönlichen Daten, Beruf, Lebenssituation der Anrufer werden gespeichert und immer wieder mit aufgerufen, sodass die Berater gleich ganz privat werden können. „Die Kunden denken dann, du bist fast ein Kumpel.“ Murat konnte so lustig erzählen, wir lachten uns kaputt. Doch ich zögere, das heute Abend zum Besten zu geben. Wäre ja auch ein zu großer Zufall, wenn ein arbeitsloser türkischer Anstreicher eine Domina in Lebenskrise beraten hätte.

„Die Zeiten sind schwer“, meine ich und spieße etwas Souvlaki auf die Gabel, „von der Politik jedenfalls kann man nicht viel erwarten. Schon gar nicht nach dieser Wahl.“ Ich würde jetzt wirklich gerne zu einem politischen Thema wechseln. Aber die andern beißen wieder nicht an. „Übrigens sollen die 0190er-Nummern abgeschafft werden“, sagt Chrissy, „das hab ich irgendwo gelesen.“ Doris schaut betroffen. Wir suchen nach einem tröstenden Wort. Gar nicht so einfach, immer nur so über die Runden zu kommen. Und was anderes ergibt sich einfach nicht.

Fragen zur Miete kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH