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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE Mein eigener Watergate-Skandal

Was passiert, wenn man als Paar in den Spätvierzigern mal wieder tanzen gehen will? Wir haben es probiert

An jenem Samstag hatten sich die Kinder großzügig gegeben. „Ihr könnt nach Hause kommen, wann ihr wollt“, hatte Charlotte gesagt und David einen vielsagenden Blick zugeworfen, „wir sind sowieso nicht da.“ Seitdem die Kinder am Wochenende häufiger auf Partys sind und dann bei Freunden übernachten, haben wir öfter frei. „Wir könnten mal wieder tanzen gehen“, schlug ich daher vor, als Christoph und ich nach der Abendvorstellung das Kino verließen.

Doch wohin? Früher habe ich einmal im Jahr das Far Out am Ku’damm aufgesucht, da gab’s immer wenigstens fünf Menschen, die auch so Mitte bis Ende 40 waren. Doch kürzlich erzählte mir Charlotte, dass jetzt auch Anna mit ihrer Peergroup dorthin pilgert. Anna ist 15. Seitdem ist das Far Out für mich out. Man will ja nicht stören.

„Wir könnten mal wieder ins Bebop gehen“, sagt Christoph und meint die Tanzschule, in der wir vor Jahren mal Walzer und Salsa gelernt haben. Aber die Tanzschritte habe ich längst vergessen. „Das Watergate wär’ mir lieber“, sage ich deshalb, „soll eine nette Disco in Kreuzberg sein“, in der Falckensteinstraße, auf der rechten Seite, vor der Oberbaumbrücke, Britt hat es mir beschrieben.

In der Dunkelheit ist der Eingang schwer zu finden, also erkundigen wir uns bei einem Passanten mit spitzen weißen Schuhen und breitrandigem Hut. „Watergate!“, ruft er, „aren’t you a bit too old for this?“ Ich schaue entgeistert, der Mann dämpft die Stimme und sagt, während er auf den dunklen Eingang deutet: „This is a place for kinder!“

Neben der Tür ist in die Mauer ein Tastenfeld mit Zahlen eingelassen. Eine Klingel gibt es nicht, auch kein „Watergate“-Schriftzug. Christoph deutet auf eine Kamera über dem Eingang. „Meinst du, die sehen uns?“, frage ich. Irgendwie war ich auch schon mal selbstbewusster. Dabei bin ich nur zweimal in meinem Leben an Türstehern gescheitert – einmal hatte ich in München vergessen, zuvor meine altmodische Pilotenbrille abzunehmen, die ich nachts beim Autofahren brauche. „Tut mir leid, heute nur für Clubmitglieder“, hieß es darob am Eingang. Die Welt funktioniert sehr einfach. Glauben Sie’s mir.

„Also, hier in der Kälte zu stehen ist suboptimal“, findet mein Mann. Die Tür ist immer noch fest verschlossen wie ein Panzerschrank. Ich tippe ein bisschen auf den Tasten herum, doch Sesam öffnet sich nicht. Vielleicht ist das hier in Wirklichkeit eine Lagerhalle. „Ich würde gerne was essen“, sagt Christoph, „lass uns zum Schlesischen Tor laufen.“

Dort herrscht reges Leben, neben dem Schnellrestaurant Bagdad bietet ein Imbiss in großen Lettern eine „runde Pizza“ an, für einen Euro. „Rund und trotzdem nur ein Euro, auf dieses Werbeargument muss man erst mal kommen“, sagt Christoph. Hinter dem Schiebefenster palavern zwei Araber, ein dritter belegt Teigfladen und steuert ab und zu ein paar Scherzworte zur Konversation bei. In den Regalen lagern dutzendweise Flaschen und Kanister mit Speiseöl und Ketchup: „Enge Geschäftsräume, viel Personal, gute Laune, fast ein bisschen Drittwelt-Ökonomie“, stellt Christoph interessiert fest. Das fand ich schon immer gut an Christoph: Wenn ich abends mit ihm unterwegs bin, fühle ich mich oft, als würde ich verreisen.

Ein Halbwüchsiger mit weißem Gespensterumhang betritt den Imbiss, er hat seine Halloween-Maske abgenommen und bittet darum, das Klo benutzen zu dürfen. „Okay, Großer, ausnahmsweise“, sagt einer der Männer.

Die Clique des Jungen wartet draußen, alle sind verkleidet. Eine Mutter und ihr blasser kleiner Sohn sitzen auf der Bank vor dem Imbiss und vertilgen ihre Pizzen. „Erstaunlich, dass noch so viele Leute unterwegs sind, bei der Kälte“, meint Christoph.

Meine Pizza schmeckt lecker, ein Euro 20 Cent kostet das Stück. Die 20 Cent extra sind für die Champignons und die Salami.

„Das Watergate …“, sinniert am nächsten Montag Kollege Z. aus der Kulturredaktion, „da müsst ihr gegen die Tür bollern, wenn ihr reinwollt. Aber erst ab Mitternacht! Ihr wart zu früh!“ Gut zu wissen. Zu früh ist immerhin besser als zu spät.

Was ist der Code? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH