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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH ÜBER DIE ANTI-STRESS-VERORDNUNG Nicht zu viel Ideologie

Wenn Worte als Allzweckwaffe dienen, verlieren sie schnell an Aussagekraft. Das Wort „Stress“ gehört dazu. „Stress“ wird gerne als ideologische Allzweckwaffe eingesetzt, um ein angeblich ausbeuterisches Verhalten anzuprangern. Dabei ist „Stress“ nicht nur schlecht: Wir brauchen ein gewisses Maß an Stress, auch an Dysfunktionalität, um zu lernen und nicht zu verlernen, wie man damit umgeht.

Eine „Anti-Stress-Verordnung“ möchten die Gewerkschaften durchsetzen. Sie würde die Arbeitgeber dazu verpflichten, „Stressfaktoren“ zu minimieren. Man weiß heute, was dazugehört: quantitative Überforderung, schlechte ChefInnen, unklare Verantwortlichkeiten, wenig Handlungsspielraum, Kundenaggression, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Früher hat man dazu gesagt: sauschlechtes Betriebsklima. Es ist richtig, den Betriebsräten mit einer Verordnung eine Handhabe zu geben, in den Unternehmen solche Belastungen zu erheben und Erleichterungen einfordern zu können. Allzu viel sollte man davon allerdings nicht erwarten, denn vermutlich würde eine Anti-Stress-Verordnung eher in einem gut aufgestellten Metallbetrieb praktische Folgen haben als in einem unterfinanzierten Pflegeheim mit magerer Personalausstattung.

Mehr als das Versprechen einer pauschalen „Stress-Überwachung“ dürfte künftig zählen, wie die Wirtschaft individuell mit den ArbeitnehmerInnen verfährt, die wegen psychischer Probleme eine Zeit lang ausfallen und dann in den Job zurückwollen und -sollen. Die Unternehmen müssen Arbeitsbedingungen anpassen, damit Angeknackste nicht in Hartz IV oder Erwerbsminderungsrente landen. Darüber wird aber noch zu wenig geredet. Dabei ist es dieser, etwas unscheinbarere Teil der Anti-Stress-Verordnung, der der wichtigste ist.

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