BARBARA BOLLWAHN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Auch ein Rebell ist manchmal angepasst
Noch ist nicht klar, wie es mit der Stasiunterlagenbehörde weitergeht. Kürzlich wurde der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), zum Vorsitzenden einer Expertenkommission zur Zukunft der Behörde gewählt, die Empfehlungen abgeben soll, ob diese nach 2019 ein eigenständiges Gremium bleiben oder etwa dem Bundesarchiv angegliedert werden soll. Böhmer sagt, dass er keinen Schlussstrich ziehen wolle, betont aber auch, dass die Kosten nicht weiter zunehmen dürften. Zuletzt kostete die Behörde nach seinen Angaben 100 Millionen Euro im Jahr.
Seit fast vier Jahren ist Roland Jahn Leiter der Stasiunterlagenbehörde. 1953 in Jena geboren, 1982 nach „staatsfeindlichen“ Aktivitäten inhaftiert, verurteilt und ein Jahr nach seiner vorzeitigen Freilassung gegen seinen Willen von der Stasi aus der DDR geworfen, könnte sich Jahn als Opfer sehen. Doch er plädiert in seinem Buch „Wir Angepassten. Überleben in der DDR“ (Piper Verlag, 2014) für Verständnis. Er macht, wenn auch auf andere Art als Böhmer, eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf, indem er von Anpassung als einer Haltung schreibt, die für ihn den Alltag unter den Bedingungen einer Diktatur stark geprägt hat, „stetig gefangen in einer Dynamik zwischen der Abwägung der Kosten oder dem Nutzen des Anpassens und der Kosten oder dem Nutzen des Widersprechens“. Jahn, der sich „ein Rädchen im Mechanismus der Diktatur“ nennt, will weniger werten und voreilige Schlüsse ziehen als vielmehr „ein offenes Gespräch führen“. Eine allgemein gültige Norm über das richtige Verhalten in einer Diktatur, schreibt er, gebe es nicht.
Er wird nicht müde, darauf hinzuweisen, bei der Reflexion über den Alltag in der DDR den Aspekt der Anpassung stärker zu beleuchten und nicht zu verurteilen, dass sich Menschen angepasst haben. „Niemand war nur Rebell oder nur Angepasster.“ Sein Buch ist als Appell zu verstehen. „Es könnten sich viel mehr Menschen mit der Frage der individuellen Verantwortung beschäftigen.“ Jahn erhofft sich davon auch Antworten für das lange Funktionieren der DDR.
■ Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt in Berlin