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■ Autowerbung von HA Schult auf dem BahnhofFord & Lenin rotieren im Grab

Düsseldorf (taz) – Der Düsseldorfer Hauptbahnhof begeht an diesem Samstag den Tag des Lokomotivführers. Jede volle Stunde starten auf Gleis 20 kostenlose Pendelfahrten. In der Eingangshalle flattern von Ventilatoren angefacht lustig ein paar rote Fahnen mit Hammer & Sichel. Die haben jedoch nichts mit den Lokomotivführern zu tun. Sie krönen vielmehr ein Kunstwerk, das HA Schult, „der weltberühmte Aktionskünstler“, wie er sich auf Handzetteln selbst vorstellt, hier arrangiert hat. Es handelt sich um jenen marmormäßig angestrichenen Ford Mondeo, den Schult im Juni letzten Jahres zu Sankt Petersburg auf den Sockel hob, just da, wo lange Zeit der putzige Panzerwagen gestanden hatte, von dem aus Lenin, einst im April, zu den Massen sprach. Für einige Monate müssen nun die Menschen an der Newa auf ihre neue Freiheitsstatue verzichten, denn der „Marble Mondeo“ geht auf Tournee durch deutsche Bahnhöfe, diese „vom Schrei des Lebens erfüllten Hallen am Herzen der großen Städte“, wie der Künstler persönlich dichtet.

Mit einem Schrei beginnt denn auch an diesem Samstag vormittag der feierliche Akt der Eröffnung: „Mehmet! Der Ton geht nicht!“ Es ist Schult selbst, der, etwas nervös, so von Herzen die Halle füllt. Nachdem Mehmet glücklich gefunden und alles geregelt ist, ergreift zunächst Herr Brandt, der Chef dieses „schönsten Bahnhofs Deutschlands“, wie er betont, das Wort und bringt seine Freude zum Ausdruck, daß hier nun endlich auch „die Kunst zum Kunden transferiert“ werden soll, zum Segen des Bahnhofs-Images wie der 200.000 Besucher täglich. Auch der Kulturdezernent der Stadt, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), hat sich heute morgen nicht lumpen lassen. Schließlich ist diese Ausstellung „eine Weltsensation“, weiß er von Schult. Der Künstler und seine Muse Elke Koska, sagt Grosse-Brockhoff, derweil die Muse wie eine pummelige Pippi Langstrumpf (oder soll es doch Hippi heißen, d. säzzerin?) durchs Publikum stakst, die beiden seien ohne Zweifel Spinner. „Aber sie spinnen verdammt gut“, fährt der Dezernent fort. Ausgerechnet „den Fetisch des Kapitalismus“ auf den Platz der Revolution zu stellen, auf die Idee müsse man erstmal kommen. Und das Ganze auch noch derart „geschickt zu kommunizieren“! Der Amtsinhaber, der sich in seiner eigenen Stadt kommunikativ eher schwertut, ist hingerissen. „Für mich ist dies Kunst, sogar eine ganz wichtige.“

Nun tritt der Held des Tages hervor, Schult in papageienem Zuhälter-Outfit, beschwört nochmals den Bahnhof als „Kathedrale der Mobilität“ („Scheiße!“ fährt da ein Schrei des Lebens rauh dazwischen, die Sheriffs machen sich auf den Weg zu dem Pöbler), erzählt vom Marmorpalast in St. Petersburg und wie eines Nachts der Denkmalsdeal, vom Wodka beflügelt, zustande kam. Der Kölner dankt all seinen Förderern („Ich will die Autofirma nicht nennen“), rechnet sich für die nächsten Bahnhofsmonate, etwas milchmädchenhaft, 40 Millionen Besucher aus und kündigt noch eine Gesangsdarbietung an.

Ein russischer Bariton im schwarzen Frack intoniert „Ade, meine Liebe“, und andere inbrünstige Weisen aus seiner Heimat. Oben über dem großen Lenin- Foto wehen die Fähnlein im künstlichen Wind, und der polierte Marmorford steht und steht auf seiner schiefen Ebene, bei der sich der weltberühmte Künstler garantiert auch was gedacht hat.

Auf der Kehrseite der Kunst prangt eine große Tafel. Lenins Frage: „Was tun?“ wird hier endlich mal klipp und klar beantwortet: „Ford Mondeo. Die sichere Wahl. Mobilität für alle! [...] Ein Denkmal für einen Bestseller. Schon 1.000.000 Mondeos bis jetzt. Das beliebteste Auto seiner Klasse in Europa als Kunstwerk. Ford. Die tun was.“ Olaf Cless

Düsseldorf bis 9. 10., Dresden 14. 10. bis 13. 11., Berlin 18. 11. bis 17. 12., danach in München, Hamburg, Stuttgart.

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