Aus dem Magazin taz FUTURZWEI : Wut kommt gut
Politiker sollen staatstragend, würdevoll und vor allem kontrolliert sein. Jedoch nimmt das Wahlvolk ihnen ihre schlechte Performance einfach nicht mehr ab. Mit einer Ausnahme: dem authentischen Moment.
taz FUTURZWEI | Ein schlechter Schauspieler verkörpert einen Betrunkenen, indem er lallt, schwankt und stolpert. Ein guter Schauspieler zeigt die Anstrengung, die es einen Betrunkenen kostet, nicht betrunken zu wirken. Der Akt der Verschleierung des eigentlichen Zustandes also markiert den Unterschied zwischen Schmierentheater und Schauspielkunst.
Der Job des Politikers ist es, einen Politiker zu verkörpern. Also staatstragend, würdevoll und vor allem kontrolliert rüberzukommen. Natürlich wissen die von den Politikern so bezeichneten „Menschen da draußen“ um die Anstrengung, mit der ihre von Schlafmangel und Umfragetiefs geplagten Volksvertreter Genervtheit, Aggression und Versagensangst auf den Rücksitzen ihrer Limousinen zwischenlagern. Aber auch bei den Politikerdarstellern ist Verschleierung Ausweis von Professionalität.
Heul leise, Kanzler
„Suspension of disbelief“ nennt sich der Pakt, den das Kino mit dem Publikum schließt – ein guter Film muss ebenso wenig plausibel sein wie ein Schauspieler betrunken, er muss nur gut gemacht sein. Die Politik unserer Tage ist weder plausibel noch gut gemacht. Und deswegen nimmt das Publikum aka Wahlvolk, den Politikerinnen ihre Performances auch nicht mehr ab. Mit einer Ausnahme und es ist ausgerechnet die schlechteste: der authentische Moment.
Ob mimisch korrekte Ergriffenheit nach Tragödien, der Verzehr politisch unkorrekter Schlachtplatten oder hüftsteife Tanz- oder Jubelmoves – mit Bodenständigkeit lässt sich Boden gutmachen. Besonders beliebt ist die spontane Wutrede. Ob Christian Lindner, nachdem ein MdL einen gründerfeindlichen Zwischenruf gedroppt hatte, oder Olaf Scholz beim Europafest in Brandenburg, wo seine Ukrainepolitik mit Buhrufen quittiert wird, das gezielte und rhetorisch tadellose Ausrasten geht ebenso effektiv viral wie Friedrich Merz‘ „rausgerutschtes“ Malmot zu den „kleinen Paschas“ – Wut kommt gut. Sie ist männlich, sie ist laut und sie ist anschlussfähig bei all jenen, die selbst schon mal mit Ton, Takt oder Tätlichkeiten Probleme hatten.
Weiblich konnotierte Authentizität bleibt hingegen peinlich. Lieber ein nach Wahlniederlage authentisch rüpelnder Gerhard Schröder in der Elefantenrunde oder der auf eierwerfende Ossis losgehende Einheitskanzler Helmut Kohl als ein von Pferden ergriffener Robert Habeck im Flensburger Land oder eine freundliche Angela Merkel vor der Handykamera eines syrischen Flüchtlings. Authentisch ist der allzu menschliche Ausrutscher, nicht die menschliche Regung.
Simulierte Authentizität
Der Politiker wird gern als authentisch, also echt, empfunden, wenn er sich danebenbenimmt. Was ein Grund dafür sein mag, dass Vertreter rechter Parteien sich andauernd danebenbenehmen. Ihr Geschrei und ihr Gepöbel simulieren Authentizität in Dauerschleife.
Wer schreit, hat Unrecht, war einst ein pädagogischer Leitsatz. Echte Rechte schreien sich hingegen landauf, landab die Seele aus dem Leib und sprechen authentizitätshungrigen Wutbürgern aus der Seele. Sie und mit ihnen die politische Kultur haben die Form verloren, nicht obwohl, sondern weil sie zu authentisch geworden sind. Sie lassen sich gehen und landen im gut besuchten Schmierentheater.
Authentizität ist das Gegenteil von Kunst. Egal ob Schauspielkunst, Regierungskunst oder Kunstkunst – Qualität und Substanz brauchen Form und Fassung und ein bisschen Freundlichkeit.
■ Dieser Artikel ist im Dezember 2024 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°31 mit dem Titelthema „Gemeinsinn“ gibt es jetzt im taz Shop.