: Der Rasen der Republik
WIESEN Als Synonym für Recht und Ordnung legendär: Jetzt hat das Grünflächenamt Berlin-Mitte Ärger
BERLIN taz | Vertikutieren, belüften, Rasen säen und düngen: Das, und nur das soll zurzeit mit der Wiese vor dem Reichstagsgebäude geschehen. So hat es das zuständige Grünflächenamt des Bezirks Berlin-Mitte bestimmt und dafür bereits Ende April den gern als „Vorgarten der Republik“ titulierten Rasen eingezäunt. Und dann das: Tausende DemonstrantInnen stürmten am Sonntag die Wiese und legten im Gedenken an die europäische Flüchtlingspolitik Dutzende Gräber vor dem Bundestag an (taz berichtete). Das sorgte bundesweit für politische Debatten. Doch wer denkt eigentlich an den schönen Rasen? Die Antwort darauf ist leicht: Das Grünflächenamt des Bezirks Berlin-Mitte natürlich.
Denn die Wiese im Herzen Berlins ist ein nahezu heiliger Rasen, um dessen Nutzung es seit Jahren Konflikte gibt. Mit dem Amt hat der Rasen einen inzwischen legendären Anwalt. Zwar gibt es seit 1999 offiziell keine Bannmeile mehr – ein „befriedeter Bezirk“ ist das Gelände aber weiterhin. So können politische Veranstaltungen hier besonders leicht verboten werden.
In der Vergangenheit waren es aber nicht immer die Versammlungsbehörden, sondern oft das berüchtigte Grünflächenamt, das Demonstranten aus Gründen der Rasenpflege ihr Demonstrationsrecht auf dem symbolischen Platz verweigerte. Immer wieder gab es dazu verschiedenste Auseinandersetzungen: Ob angesichts der Occupy-Besetzungen in Berlin oder im Hinblick auf das symbolträchtige Gelöbnis der Bundeswehr vor dem Reichstagsgebäude. Fußball spielen vor dem Bundestag? Auch verboten.
Und nun? „Aktuell beräumt eine Pflegefirma den Platz“, teilt der Bezirk mit, bis Ende Juli müsse der Rasen nun vermutlich abgesperrt bleiben. Klar ist: Der Bezirk will nun die „Verursacher finanziell zur Rechenschaft ziehen“. Der Berliner Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) beziffert den Schaden auf 10.000 Euro und schickt ein gepfeffertes Statement: Das Demonstrationsrecht sei „aufs Gröbste missbraucht“ worden, die Veranstalter hätten „Randalierern ein Forum“ geboten und sich damit „gleich gemacht mit Chaoten, die nur auf Krawall aus sind“. Ob das Zentrum für Politische Schönheit, das mit Bauanleitungen dazu animiert hatte, überall in Deutschland symbolische Gräber auszuheben, für die Gräber belangt werden kann, ist offen. Offiziell hatten die Organisatoren ihre Veranstaltung zum Zeitpunkt der Wiesenstürmung schon beendet. Wildern kann die Polizei nun dennoch unter den Beteiligten: Beim Kampf um den Rasen gab es 91 Festnahmen.
MALENE GÜRGEN