: Antiker Superstar
KOOPERATION Eine Sonderausstellung im Museum Kalkriese und eine Opern-Neuschöpfung am Theater Osnabrück zeigen den römischen Feldherrn Germanicus als altertümlichen Promi. Erstmals seit 300 Jahren wird dabei Telemanns Oper szenisch aufgeführt – recycelt aus anderen Kompositionen und mit neuem Material vermengt
VON BEATE BÖSSL UND JENS FISCHER
Germanicus, das klingt größer als das Hermannsdenkmal. Oder kleiner als Asterix, wie eine Comic-Witzfigur also. Aber den Recken mit der Heldenpower kennt kaum einer. Nicht mal in Osnabrück, wo er immerhin mal zu Besuch war. Zu einer Beerdigung – und zur Produktion von zu beerdigendem Nachschub.
Doch nun gibt es Germanicus-PR im Doppelpack, wobei das Stadttheater erstmals mit dem Museum in Kalkriese zusammenarbeitet. Nachdem in Papenburg die Landesbühne zur Landesgartenschau 2014 das Blumenmusical „Little Shop of Horrors“ beisteuerte, soll die Osnabrücker Kooperation nun mehr sein als eine läppische Unterhaltungsergänzung für Ausstellungstouristen: Zwei eigenständige, künstlerisch wertvolle Erlebnisse werden versprochen.
Schlacht im Idyll
Der Jogger in Bramsche-Gartenstadt rät, an der Ampel links zu fahren, fünf Kilometer seien es bis Kalkriese. Bis zum Museum und Park führen sechs weitere durch ländliches Sommeridyll. Gut möglich, dass es dort, wo gerade eine Picknick-Gruppe sitzt, vor gut 2.000 Jahren Mord und Totschlag im Legionärsquadrat gab; dass Arminius just an dieser Stelle die Römer besiegte und ihren Strategen Varus schlachtete. Im Jahre 9 n. Chr. war das, fünf Jahre später versuchte das Imperium zurückzuschlagen. Und wurde abermals in die Schranken verwiesen.
Mit der Sonderausstellung „Ich Germanicus – Feldherr Priester Superstar“ widmet das Museum jenem Römer besondere Aufmerksamkeit, der diesen Rachefeldzug anführte. Zur genealogischen Erklärung läuft nun ein roter Faden (unnatürlicher Todesfälle) durch komplexe Familien- und Machtstammbäume. Dazu ziehen projizierte Umrisse von Kriegern hinter Marmorköpfen auf. Für besondere Aufmerksamkeit sorgt der Abguss einer der Knochengruben von Kalkriese.
Feldherr der Herzen
Germanicus sei es gewesen, der dort die Toten der Varusschlacht bestattet habe. Anhand von Funden lasse sich das zwar nicht nachweisen, wohl aber durch spätere römische Aufzeichnungen als „hochwahrscheinlich“ einordnen, sagt Kurator Stefan Burmester. Andere Wissenschaftler halten das für weniger wahrscheinlich und vermuten den Tatort in Ostwestfalen. Hauptsache, die Römer haben verloren.
Auch wenn weltweit nur wenige Darstellungen zusammengeliehen werden konnten, gelingt es der Ausstellung, den Germanicus über sein Bestatter-Image hinaus interessant zu machen. Große Steinköpfe und leicht zu übersehende Siegesminiaturen auf Gefäßen, dazu Münzen und Schwerter bebildern das Profil als Feldherr. Schwach ausgearbeitet bleibt dagegen der Aspekt Priester.
Gefeiert wird Germanicus vor allem als „Superstar“. Das sei, stellt Museumsleiterin Heidrun Derks klar, im heutigen Promi-Kontext zu verstehen: die Bilanz mager, aber ein Prinz der Herzen. Mit seiner Familie habe er sich inszeniert wie Brangelina oder Prinz William & Kate – nebst Söhnchen Caligula.
Typische Barockoper
Auf der Theaterbühne ist Germanicus nun weder in Rom noch in Osnabrück anzutreffen, sondern in Köln, wohin sich die Römer nach dem Varus-Debakel zurückgezogen hatten. Was in Geschichtsbüchern steht und im Museum präsentiert wird, sei für Georg Philipp Telemanns „Germanicus“ nicht so bedeutend, sagt Intendant Ralf Waldschmidt. „Man darf keine logische Story oder historisch verbürgte Tatsachen erwarten.“ Es würden die für das Genre Barockoper typisch klischeehaften Handlungselemente um Liebe und Eifersucht mit den üblichen Verwicklungen und Intrigen serviert – und das augenzwinkernd.
Inhaltliche Bedeutung ergibt sich in der Waldschmidt’schen Nacherzählung: „Es geht um drei tolle kluge Frauen und zwei mit Kriegführen und Dreinschlagen beschäftige Haudegen“, sagt er. „Zu sehen ist also, dass die Geschlechter nicht miteinander harmonieren – bis die Frauen die Männer zur Vernunft bringen.“ Der Widerspenstigen Zähmung, mit postemanzipatorisch vertauschten Geschlechterrollen? „Kann man so sagen“, findet Waldschmidt. Wichtig ist dem Intendanten auch, die deutsche Barockoper aus dem Schatten der französischen, italienischen und englischen zu holen. „Telemann war zu seiner Zeit berühmter als Bach“, sagt er. „Innovativ, ein echter Theatermann, seine Musik hat Charme, Tiefe und Witz.“
Verschollenes Werk
Ein Großteil des Werks gilt allerdings als verschollen, die Handschriften wurden 1944 durch allieierte Bomben vernichtet. Darunter auch der „Germanicus“: Den hatte Telemann 1704, noch als Jurastudent, für die Leipziger Oper geschrieben. „Eine anscheinend unwiederbringlich verhallte musikalische Welt begann wieder zu klingen“, notierte der Musikwissenschaftler Michael Maul, nachdem er für seine Doktorarbeit ein bisher anonymes Arienkonvolut in der Unibibliothek zu Frankfurt am Main entdeckt hatte und dem verschollen Telemann-Werk zuordnen konnte.
Das dazugehörige Textbuch recherchierte er in der Dresdner Landesbibliothek – und stellte überrascht fest: Die Tochter des Leipziger Operngründers hatte es verfasst, Christine Dorothea Lachs, kaum 30 Jahre alt. Aus gut drei Dutzend Arien, die barocktypisch endlos redundant Befindlichkeiten verkünden, ist bestenfalls ein länglicher Liederabend zu inszenieren – aber keine Oper. Es fehlt die Musik zu den einstmals ebenfalls gesungenen Rezitativen.
Opern-Collage
Die Texte einfach zu rezitieren, wie man es in Leipzig und Magdeburg vor einigen Jahren versuchte, „klingt gestelzt, langweilig“, sagt Waldschmidt. „So haben wir eine ganz spezielle Operation vorgenommen.“ Da das „Frauenzimmer-Libretto“ (O-Ton Telemann) vor allem eine Übersetzung der Oper „Germanico sul Reno“ von Giovanni Legrenzi (1626–1690) ist, transplantierte der musikalische Leiter Daniel Inbal nun dessen italienische Rezitative in seine Fassung. Auch wählte er ein Telemann’sches Konzertstück als Ouvertüre aus und puzzelte Zwischenspiele ins Geschehen: ein komponiertes Erdbeben, einen Feuerchor, sowas. Verbliebene Lücken wurden mit Arien-aterial aus anderen Telemann-Opern bestückt; Collage nennt man das heute.
„Aber das hat historische Legitimation“, erklärt Waldschmidt. „So wie man aus vielen guten Zutaten eine Pastete zusammen knetet, wurden für die Pasticcio-Opern des Barock bereits erfolgreich aufgeführte Kompositionen recycelt und mit neuem Material vermengt.“ Ist der Osnabrücker Bühnen-„Germanicus“ also keine bloße Telemann-Rekonstruktion? „Richtig“, sagt der Intendant: „Es ist die Uraufführung einer Neuschöpfung.“
■ „Germanicus“-Premiere: Sa, 20. Juni, 19.30 Uhr, Theater Osna-brück. Weitere Aufführungen:
24. + 28. Juni; 1., 3., 7. + 9. Juli. Internet: www.theater-osna-brueck.de ■ Sonderausstellung „Ich Germanicus! Feldherr Priester Superstar“: Sa, 20. Juni, bis 1. November, Museum und Park Kalkriese. Internet: www.kalkriese-varusschlacht.de