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Archiv-Artikel

Aus für die Odenwaldschule

SCHLUSS Die Reformschule meldet Insolvenz an. Die SchülerInnen sind bestürzt, sie befinden sich mitten in der Ausbildungsphase

Folge des jahrelangen Wegsehens

Marcus Halfen-Kieper, Geschäftsführer der Odenwaldschule

AUS FRANKFURT AM MAIN ALINA LEIMBACH

Die Odenwaldschule steht am finanziellen Abgrund. Die Odenwaldschule findet Geldgeber. Die Odenwaldschule hat kein Geld mehr. Dieser Zyklus hatte sich in den vergangenen fünf Jahren in regelmäßigen Abständen wiederholt. Jetzt heißt es erneut: Die Schule steht vor dem Aus. Insolvenz ist bereits angemeldet, gab die Geschäftsführung am Dienstag bekannt.

Nach einem Spendenaufruf liefen binnen weniger Wochen Zusagen für mehrere Millionen Euro ein. Die Schulaufsichtsbehörde hatte für diese Gelder ein Extrakonto dafür verlangt. Der Schule sei es allerdings nicht möglich gewesen, innerhalb der verlangten Frist von vier Wochen alle Spenden zu prüfen und die Spendenzusagen „gesichert nachzuweisen“, erklärte Marcus Halfen-Kieper, Geschäftsführer der Schule.

Seit 2010 kämpft das Internat mit sinkenden Schülerzahlen, seit massenhafte Fälle von sexueller Gewalt an Kinder bekannt geworden waren. Zwischen 1965 und 1998 wurden mindestens 115 Jungen und 17 Mädchen von Lehrern und Mitschülern sexuell missbraucht. Die Übergriffe wurden jahrlang vertuscht.

Mehrere Rettungsversuche scheiterten, zuletzt hatte es 80 Anmeldungen für das nächste Schuljahr gegeben. 200 SchülerInnen sind nötig, um den Betrieb am Leben zu erhalten. Medienberichten zufolge haben die LehrerInnen bereits im Mai kein Gehalt mehr erhalten. Der Insolvenzantrag sei „Folge des langjährigen Unvermögens, Wegsehens, Gewährenlassens, Nichteingreifens und Zu-spät-Reagierens“, erklärte Halfen-Kieper.

Für die SchülerInnen ist das ein großer Schock. Viele von ihnen stehen mitten in der Qualifikationsphase. „Ich bin bestürzt“, sagt Schülersprecher Friedrich Benrath. Die SchülerInnen hatten darauf gehofft, dass die Spenden die Schule retten, und selbst für die Schule geworben. „Ich kann noch nicht glauben, dass ich in dreieinhalb Wochen gehen muss und nie mehr wiederkommen kann“, sagte Benrath zur taz.

Adrian Koerfer indes begrüßt das Aus der Schule. Koerfer ist Vorsitzender des Opfervereins Glasbrechen, der sich für die Betroffenen sexueller Gewalt einsetzt. Er sagt: „Ich finde es gut, dass die Schule schließt.“ Er geht davon aus, dass es deutlich mehr als die bekannten 130 Missbrauchsfälle gegeben hat. Das dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, findet er. Wichtig wäre allerdings, sagt Koerfer, dass es eine Gedenkstätte und ein Archiv zur wissenschaftlichen Aufarbeitung gebe.

Das mehr als 100 Jahre alte Internat gilt als eine der bekanntesten deutschen Reformschulen. Die sah sich selbst stets als Ort, in dem mehr als nur die Aneignung „reinen Wissens“ im Vordergrund stand. Dazu gehörte, dass Kinder und Jugendliche individuelle Lernanregungen bekommen – intellektuelle, handwerklich-praktische, musisch-künstlerische. Aus Verbundenheit mit der Schule hatten sich daher auch immer wieder Spender gefunden, die an das Konzept glaubten.