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Archiv-Artikel

„Denkmal- und Naturschutz gehören zusammen“

AUFARBEITUNG Ulrike Höfken, Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, über die Arbeit am Westwall

Ulrike Höfken

■ 60, ist seit 2011 Ministerin für Umwelt und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz und Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Sie hat die Studie über die Verstrickung von Naturschutz und Nationalsozialismus beim Bau des Westwalls in Auftrag gegeben.

INTERVIEW ANDREAS SPEIT

taz: Frau Höfken, Sie haben die Stiftung „Grüner Wall im Westen – Mahnmal ehemaliger Westwall“ ins Leben gerufen. Warum?

Ulrike Höfken: Die Landesregierung will die Westwall-Ruinen als Mahnmal gegen die Verbrechen des Nazi-Regimes erhalten und diesen heutigen Rückzugsraum der Natur weiterentwickeln. Unsere Stiftung verbindet deshalb ausdrücklich die politische Aufarbeitung und den Naturschutz. Im Vorstand sitzen daher zum Beispiel auch Vertreter aus Naturschutz, Politischer Bildung, Denkmalschutz und Tourismus. Wir haben die Ruinen 2014 vom Bund übernommen.

 Der Bund hatte sich bisher nur um die Verkehrssicherung gekümmert, die Anlagen gesprengt oder eingeebnet. Das stand sowohl der Aufgabe der Erinnerung als auch dem Naturschutz entgegen.

Warum haben Sie ein Gutachten zur Rolle des Naturschutzes beim Westwall-Bau beauftragt?

Das Gutachten setzt sich mit der Geschichte des Westwalls auseinander und beleuchtet auch dieAktivitäten und Akteure des Naturschutzes in der NS-Zeit. Wir knüpfen damit auch an unsere 2012 gestartete Initiative „Naturschutz gegen Rechtsextremismus“ an. Als Naturschutzministerium haben wir damit Neuland betreten. Mit Broschüren wie „Naturschutz gegen Rechtsextremismus. Eine Argumentationshilfe“ und „Klartext gegen rechtsextreme Ökosprüche“ wollen wir aufdecken, wo Rechtsextreme versuchen, ein braunes Mäntelchen über den Naturschutz zu werfen.

Wie wollen Sie Naturschutz und Denkmalpflege in Einklang bringen?

Naturschutz und Denkmalpflege sind am ehemaligen Westwall Partner. Wir sind uns darin einig, dass wir die einzelnen Bunker, Höckerlinien und Stollen nicht restaurieren. Das wäre ein falsches Signal. Es geht um die Sicherung der Überreste, sodass sie Zeugen des NS-Terrors bleiben. Die Stiftung soll alle Aufgaben zusammenbringen: den Erhalt und die Verkehrssicherung der Ruinen, die politische Bildung und Aufarbeitung der Geschichte, den Denkmalschutz und den Naturschutz. Wir sehen das auch als bundespolitische Aufgabe.

Wie hat sich der Naturschutz in den Bau des Westwalls eingebracht?

Die Aufgabe des Naturschutzes in der Zeit des Nationalsozialismus am Westwall übernahmen die sogenannten Landschaftsanwälte. Teile des Naturschutzes der NS-Zeit integrierten sich in die Organisation Todt, die den Bau des Westwalls betrieb. Wie andere Organisationen wurde der Naturschutz „gleichgeschaltet“, bis auf beispielsweise die „Naturfreunde“, die Widerstand entgegensetzten. Unser Gutachten zeigt die Verstrickungen in die Politik des Nationalsozialismus auf. Die damaligen Naturschützer in Gestalt der „Landschaftsanwälte“ haben sich dem NS-Regime und seinen Zielen angedient und nationalsozialistische Zielsetzungen entwickelt.

 Auch seitens des privat organisierten Naturschutzes war man am Westwall engagiert: Der Reichsbund für Vogelschutz hängte Nistkästen auf. Der Naturschutzverein Pollichia war in der Planungsgemeinschaft Mitglied, die die neuen Dorfplanungen vorbereitete, und Vertreter des Bunds Naturschutz Bayern lobten die Rücksichtnahme der Organisation Todt auf die landschaftlichen Gegebenheiten.

Seit Langem gibt es dazu kritische Studien. Innerhalb der Naturschutz-Szene scheint die Aufarbeitung oftmals aber ignoriert oder gar abgewehrt zu werden.

Es gibt einen Diskurs unter Historikerinnen und Historikern, die seit Jahren zu Naturschutz in der NS-Zeit forschen. Aber auch seitens des Naturschutzes gibt es einige Akteurinnen und Akteure, die sich hier engagieren, etwa Professor Wolschke-Bulmahn von der Universität Hannover.

 Der Bund Naturschutz Bayern hat zu seinem 100. Geburtstag seine Geschichte durch Fachhistorikerinnen und -historiker gründlich aufarbeiten lassen. Dabei sind auch nicht sehr angenehme Wahrheiten zutage getreten, zu denen der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger klare Worte gefunden hat. Er sieht aufgrund der Vergangenheit die Naturschützer heute die besondere Verpflichtung, sich für eine pluralistische Demokratie einzusetzen. Auch der Alpenverein ist seiner NS-Geschichte mit Engagement nachgegangen. Die Ökolandbauverbände setzen sich heute aktiv mit Rechtsextremismus auseinander. Andere Institutionen sind zurückhaltender.

Von einer Instrumentalisierung des Naturschutzes durch den Nationalsozialismus kann aber heute keine Rede mehr sein.

Stimmt, wie das Beispiel Westwall auch zeigt.

In Diskussionen schwingt dennoch oft eine Verweigerungshaltung mit.

„Der Reichsbund für Vogelschutz hängte am Westwall Nistkästen auf“

Der Naturschutz hat heute keine pauschale Verweigerungshaltung. In Rheinland-Pfalz zeigt sich, wie Naturschutzverbände, Denkmalschützer und politische Bildung eng am Thema und in der Stiftung zusammenarbeiten. Unser Gutachten wird von Naturschutzverbänden, den Landschaftsarchitekten in Rheinland-Pfalz und dem Saarland und vom Bundesverband Beruflicher Naturschutz Rheinland-Pfalz begrüßt.

Viele Naturschützer kamen nach 1945 sogar in noch bessere Positionen.

Ja, ein Beispiel ist der „Reichslandschaftsanwalt“ Alwin Seifert. Er wurde in den fünfziger Jahren Professor an der TU München, Heinrich Wiepking an der TU Hannover. Das waren Positionen mit Einfluss auf die Ausbildung von jungen Landschaftsplanern. Hans Klose war vor 1945 der Leiter der Reichsstelle für Naturschutz und nach 1945 Leiter der Zentralstelle für Naturschutz und damit der Vorläuferorganisation des heutigen Bundesamts.

Aber es gab nicht nur personelle Kontinuitäten.

Das stimmt. Denken Sie etwa an das Reichsnaturschutzgesetz, das ja bekanntlich in den meisten Bundesländern bis 1976 in Kraft blieb. Dort wurde die „Umgestaltung des deutschen Menschen“ als Voraussetzung für wirksamen Naturschutz bezeichnet. Es gab methodische Standards, die weitergalten. Die Kontinuitäten, die dadurch entstanden, dass im Nationalsozialismus entwickelte und angewandte Methoden und dort erworbenes Wissen nach 1945 weitergegeben und angewandt wurden, sind kritisch zu hinterfragen.

Kann man nicht eigentlich sogar schon seit der völkischen Bewegung 1871 davon ausgehen, dass sich die Überzeugungen von Naturschützern und Nationalsozialisten teils überschneiden?

Die völkische Bewegung und die Ideologie von Blut und Boden entstanden in dieser Zeit parallel. Ernst Rudorff, der die erste programmatische Schrift zum Naturschutz verfasste, sah den Menschen als wesentlich von der Landschaft geprägt an und lieferte damit Ansatzpunkte für die Blut-und-Boden-Ideologie. Ob es weitergehende gemeinsame Überzeugungen gab, wäre eine lohnende Frage an Historiker.