piwik no script img

Archiv-Artikel

Material für halbe Ewigkeiten

SCHÖNER MÜLL Zuerst trägt das Netz die Kartoffeln nach Hause. Statt danach in der Tonne zu landen, hilft es beim Abwasch

Einkaufen. Auspacken. Nutzen. Wegwerfen. Alle produzieren Müll, und das entschuldigt scheinbar die Gedankenlosigkeit, mit der alle ihn produzieren. Ein Müllentsorgungssystem, das durch seine Existenz die Gedankenlosigkeit der Menschen honoriert, fördert wiederum noch mehr Gedankenlosigkeit. So geht das immer weiter.

Insofern ist diese Geschichte von Kartoffelnetzen, die zu Spülschwämmen werden, einfach nur rührend. Oder doch mehr als das?

Ein wenig Handarbeit

Wortlos legte eine strickende Frau auf dem Strickclub des taz.lab, dem taz-Kongress, der Ende April im Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattfand, ein halbes Dutzend davon vor sich auf den Tisch. Nichts geschah. Was soll bei einem Spülschwamm schon passieren?

Aber nach und nach nahmen die anderen Frauen, die sich versammelt hatten, um zu demonstrieren, dass Handarbeit kein Zeitvertreib für Retroverliebte ist, die nicht an die Zukunft glauben, diese Spülschwämme in die Hand, strichen sich damit über die Arme, die Wangen und zollten der Mitbringerin Bewunderung. Denn einmal das Ding in die Hand genommen, erschließt sich dessen Geheimnis: Dieser Spülschwamm ist aus einem alten Netz, in dem vormals Kartoffeln verkauft worden waren. Andere Spülschwämme sind aus Netzen von Zitronen, Orangen oder Zwiebeln.

Die Frau hat die Netze mehrfach gefaltet, mit festen Maschen umhäkelt und mit ein paar Luftmaschen auch noch an eine Schlaufe zum Aufhängen gedacht. Einfacher geht es kaum. Aber selbst Leute, die nicht häkeln, wohl aber einen Faden in eine Nadel einfädeln können, können das noch bewerkstelligen. Dann werden die zusammengefalteten Teile eben nicht zusammengehäkelt, sondern -genäht.

Für Topf und Haut

Diese Recyclingschwämme sind effektiv, denn ihre Konsistenz ist stärker als Schwamm und softer als Topfkratzer. Die aber, die gar keinen Topfkratzer brauchen, werden merken: Auch zum Abrubbeln der Haut – neudeutsch „Peelingpad“ genannt – ist das Ding zu gebrauchen.

Und was passiert, wenn derSchwamm unansehnlich geworden ist? Er wird weggeworfen. Mit besserem Gewissen.

WALTRAUD SCHWAB