: THEATER
ESTHER SLEVOGT
Das Theater ist in gewisser Weise auch ein Lebensberatungsinstitut. Ein Ort der Öffentlichkeit, wohin ich mich als Privatwesen begeben und erfahren kann, dass ich manche Probleme und Sorgen mit anderen teile. Weil sie ähnliche Erfahrungen kennen. So etwas kann dann stark machen. Oder wenigstens von der eigenen Befindlichkeit denn Blick aufs größere Ganze richten helfen. Thema Ohnmacht zum Beispiel. Jeder kennt das. Manchmal weiß man nicht, wo man anfangen soll, das Problem zu betrachten. Das HAU versucht es nun einmal.
Und zwar mit einer Veranstaltungsreihe, die mit „The Power of Powerlessness“ überschrieben ist. Vorträge und vor allem Theaterprojekte werden sich der Ohnmacht widmen und Wege daraus suchen: in die Selbstermächtigung zum Beispiel. Oder wenigstens in Gespräche und Verständigung. Zum Beispiel der „15th Extraordinary Congress“, in dessen Rahmen sechs Künstlerinnen aus dem zerbrochenen Vielvölkerstaat Jugoslawien über dieses verlorene Land (und seine verlorenen Möglichkeiten) ins Gespräch kommen wollen (7. Juni 16–20 Uhr). Oder der „Houseclub“ mit dem Motto „Noise is Power“, der von Leuten ausgerichtet wird, die etwas davon verstehen, wie man mit Krach Macht ausüben kann: Schüler der 8. und der 10. Klasse der Hector-Peterson-Schule nämlich (4. und 5. 6.). Die Kuratorin des Festivals, Edit Kaldor, lädt an drei Tagen Menschen ein, ein „Inventar der Ohnmacht“ zu erstellen (5., 6., & 7. 6). Ein Performance-Höhepunkt sind das Gastspiel des Radikalperformers Ivo Dimchev mit seinem Stück „ICure“ (11. 6.) und die Berliner Premiere des neuen Stücks des Choreografen Jérôme Bel „Gala“ (23. 6.). Darin versammelt Bel (dessen Abend „Disabled Theatre“ 2013 zum Theatertreffen eingeladen war) zwanzig Personen auf der Bühne, darunter professionelle Tänzer und Schauspieler sowie Laien. Lauter Einzelwesen aus verschiedenen Kulturen also, mit unterschiedlichen künstlerischen Vorstellungen, die sich auf einer Bühne darüber verständigen müssen (HAU: Festival „The Power of Powerlessness“, 4.–25. 6. Alle Infos: www.hebbel-am-ufer.de).
Von zwei Ohnmächtigen, die Wege aus der Ohnmacht suchen, und nur tief und tiefer in die Ohnmacht geraten, handelt auch der berühmte Film von Sidney Pollack von 1969 mit Jane Fonda: „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Am Potsdamer Hans-Otto-Theater hat nun der Regisseur Niklas Becker die Romanvorlage des Films, (die das gnadenlose Fernsehformat der heutigen Castingshows vorwegnimmt), für das Theater adaptiert. (Hans-Otto-Theater, Potsdam: „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“, Premiere: 5. Juni 2015).