PRO: KONSEQUENZEN AUS DER WAHL : Mehr Dreiklassenwahlrecht
Das neue Wahlrecht verstärkt die Wirkung der sozialen Spaltung
Wer in Bremen am Sonntag Jens Böhrnsen gewählt hat, ist Montag aufgewacht und merkt: Böhrnsen ist futsch. Und seine Stimmen sorgen dafür, dass Jürgen Pohlmann und Andreas Kottisch Mandate kriegen. Und Sascha Karolin Aulepp keins.Wäre das jetzt das geheime Ziel, der wahre Wunsch den Böhrnsen-WählerInnen mit ihren 93.903 Kreuzchen artikuliert haben: Sascha Karolin Aulepp zu verhindern? Zugunsten von Pohlmann? Weil rund 300 Leute dem Kreuzchen geschenkt haben?
Nein, wieso das nun „mehr Demokratie“ sein soll – wie es der Name der Bürger-Ini versprach, die das neue Wahlrecht ersonnen hat – leuchtet nicht unmittelbar ein. Aber das wäre halb so wild, wenn nicht das neue Wahlrecht auch noch bestehende Defizite des Wahlsystems verschärfen würde. So macht es – siehe SPD-Fraktion – alle Bemühungen um Gleichberechtigung der Geschlechter zunichte. Andererseits forciert es die Effekte der sozialen Spaltung: Das neue Wahlrecht führt dazu, dass Kandidierende mit eigener Kohle für sich persönlich Werbung machen. Folge: Auf lange Sicht bleiben minderbegüterte BewerberInnen eben draußen. Das wiederum würde zur erodierenden Wahlbeteiligung in den armen Stadtteilen gut passen.
Nein, die kann man dem neuen Wahlrecht nicht anlasten. Bloß: Es erhöht das Gewicht der Nichtwahl. Jeder fehlende Wähler bedeutet fünf fehlende Stimmen – nicht eine. Und die Einführung hat den Anteil ungültiger Stimmzettel verdreifacht – deren Anteil wiederum in den armen Quartieren dreimal höher liegt als in denen mit hoher Wahlbeteiligung. Statt mehr Demokratie, wie gedacht, haben wir mehr Dreiklassenwahlrecht verursacht. Das war nicht der Plan. Also gehört die Reform des Wahlrechts auf die Agenda. Dringend. BENNO SCHIRRMEISTER