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Archiv-Artikel

Philharmonie ohne Chefdirigent

DIE QUAL NACH DER WAHL

Haben sich die Musiker gestritten?

Das Stück, das die Berliner Philharmoniker da aufgeführt haben, kann man getrost als „vergeigt“ bezeichnen. Denn was am vergangenen Montagabend in die laue Berliner Mainacht von Orchestervorstand Peter Riegelbauer verkündet wurde („Wir konnten uns auf keinen Dirigenten einigen, wir müssen die Wahl fortsetzen“), klingt harmlos, beinhaltet aber viel Sprengstoff.

Doch der Reihe nach: Die Philharmoniker hatten sich Anfang der Woche in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem getroffen. Nicht um Musik dort zum machen, sondern um einen Nachfolger für Sir Simon Rattle zu wählen. Dieser gibt sein Amt in Berlin 2018 auf. Namen machten im Vorfeld die Runde, unter anderem Daniel Bahrenboim (Berlin), Andris Nelsons (Boston) und Romantik- und Wagnerfan Christian Thielemann (Dresden), der für seinen konservativen Stil bekannt ist. Wissen muss man auch: Das Orchester ist das einzige Ensemble der Welt, das seinen Chefdirigenten selbst bestimmt. Basisdemokratisch sozusagen.

Doch als sich nach einer elfstündigen Marathonsitzung die 123 wahlberechtigten Musiker nicht auf einen Dirigenten einigen konnten, war das wie ein Paukenschlag. Haben sich die Musiker gestritten, wer wurde aussortiert, ist das Weltklasseorchester führungslos?

Okay: Keine Entscheidung ist besser als ein schlechte. Doch weil es – so wird gemunkelt – einen Richtungsstreit zwischen einer Pro- und einer starken Anti-Christian-Thielemann-Gruppe gegeben habe, hat sich das Orchester jetzt blockiert. Während die einen wieder zur klassischen Symphoniearbeit à la Karajan streben, wollen „die Modernen“ die neuen Rollen des Orchesters seit Rattle fortsetzen: Man konzertierte, manchmal auch modern, machte Filme, spielte mit Kindern, war populär statt elitär – teilweise jedenfalls.

Aufzulösen wird dieser Konflikt fürs Erste nicht sein. Und geschadet wurde nicht nur allen Namen, die im Vorfeld gehandelt wurden, sondern auch den Philharmonikern selbst, deren Gruppen sich wie im Orchestergraben verschanzt haben.

Und wie kommt man aus dem Mollmodus wieder heraus? Dit is mich allens eens, nu jeigt erst mal schön, wie der Berliner sagt.

ROLF LAUTENSCHLÄGER