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Archiv-Artikel

Wannen mit Tomaten

MYFEST I Schon beim ersten Myfest verkaufte Sema Sönmez auf dem Heinrichplatz Köfte, am Ende unter Polizeischutz. Inzwischen setzt sie auf Bratwurst und Hühnchen

„So viele Türken auf einem Haufen, das gibt es bei uns nicht“

BESUCHER AUS SACHSEN AM STAND VON SEMA SÖNMEZ

VON ANTJE LANG-LENDORFF

Die Kohle glüht schon, der Rauch weht über den Heinrichplatz. Noch ist der Rost der Familie Sönmez leer. 20 Kilo mariniertes Hühnerfleisch und 300 Thüringer Rostbratwürste warten am Freitagmittag darauf, gegrillt zu werden. Plastiksäcke voll Brötchen und Wannen mit Tomaten und geschnittenem Salat stehen in dem blauen Pavillonzelt bereit. Bierfässer lagern am Rand, unzählige Limetten sollen in den nächsten Stunden zu Caipirinha verarbeitet werden.

In Jeans und Baumwollstrickjacke steht Sema Sönmez dazwischen und versucht, den Überblick zu behalten. Die Haare hat die 42-Jährige zu einem praktischen Dutt zurückgebunden. Während sich vor dem Stand die ersten Lederjackenträger ein Bierchen in der Sonne genehmigen, schnippelt sie emsig die letzten Tomaten, kramt Plastikgabeln aus Taschen, weist die anderen Verkäuferinnen ein, plaudert kurz mit DJ Ipek, die an den Stand kommt und später auf der Bühne gegenüber auflegen wird.

Genau hier, an der Ecke Mariannen-/Oranienstraße, verkaufte Sema Sönmez schon 2003 ihre Köfte. Damals fand das Myfest zum ersten Mal statt, man wollte den Krawallen endlich etwas entgegensetzen. „Ich hatte so eine Angst“, erzählt sie. Auch viele aus der Familie trauten sich wegen der Randale der Vorjahre nicht auf die Straße. Doch Semas Mann Halis Sönmez hatte das Fest mit organisiert, sie konnte ihn nicht hängen lassen. Also verkaufte sie alleine. „Die Schlange reichte bis in die Oranienstraße. In zwei Stunden war alles weg.“ Beim Aufräumen habe sie nur noch Grün gesehen, so viele Polizisten riegelten ihren Stand ab.

Erst in den folgenden Jahren schlossen sich Nachbarn und Familie an, erzählt sie. Inzwischen sind die unzähligen Stände von Anwohnern vom Myfest nicht mehr wegzudenken. Sema Sönmez, deren Mann das Fest auch diesmal mit auf die Beine stellte, deutet zufrieden in die Straßen: „So eine schöne Atmosphäre, so viel hausgemachtes Essen: Unsere Idee hat geklappt.“

Heute helfen ihr Freundinnen und Verwandte beim Verkauf, der Mann einer Freundin kümmert sich um den Grill. Je nachdem, wie viel sie insgesamt einnehmen, zahlt Sema ihnen zwischen acht und zehn Euro die Stunde. Pro Wurst verdiene sie zwischen 50 und 60 Cent, sagt sie. Beim Huhn könnte jeweils ein Euro rausspringen.

Es fehlt Salz zum Nachwürzen. Eilig läuft Sema Sönmez hinauf in die Dreizimmerwohnung über dem Platz. Von hier kommt auch der Strom. Die Sönmez haben das Kabel einfach aus dem Fenster geworfen und über die Straße zum Stand geführt.

So reißend wie im ersten Jahr war die Nachfrage zuletzt nicht mehr. Im vergangenen Jahr hatte Sema Sönmez 400 Würstchen, 100 blieben am Ende übrig. Sie verteilte sie kostenlos. Sönmez hofft, dass das dieses Jahr nicht nötig sein wird. Zum ersten Mal grillt sie auch keine Köfte mehr: „Köfte muss man zwei bis drei Tage vorher vorbereiten. Das ganze Haus stinkt danach.“

Eine Gruppe aus Sachsen kauft Erdbeerbowle. Da seien vier Flaschen Champagner drin, erzählt Sönmez. Die habe sie geschenkt bekommen, aber nie getrunken. Den Sachsen schmeckt das Gemisch. Überhaupt, sagen sie, gefalle es ihnen auf dem Fest. Es sei so anders als zu Hause. Ein Mann in Outdoorjacke erklärt: „So viele Türken auf einem Haufen, das gibt es bei uns nicht.“

Freunde flanieren vorbei. Sema Sönmez kennt viele hier, seit 17 Jahren lebt sie am Heinrichplatz. 1987 kam sie zur Hochzeit aus Anatolien nach Berlin. Sie ist Hausfrau, hat drei Kinder großgezogen, sich um die Schwiegereltern gekümmert.

Ein ordentlich gekleideter junger Mann zeigt auf das Schild „Caipi 4 Euro“. „Wie viel Milliliter bekommt man denn da?“ Die Verkäuferin ist perplex, hält dann einen leeren Plastikbecher hoch. Er ist einverstanden. „Es gibt hier ja sehr viele Angebote. Da muss man als Konsument schon abwägen“, erklärt der Freund des Mannes. Die beiden sind angehende Wirtschaftsingenieure aus Magdeburg. Mit Antikapitalismus haben sie es überhaupt nicht. Trotzdem wollen sie zur Demo am Abend. „Einfach, um die Stimmung mitzuerleben“, sagt der eine.

Am Nachmittag brummt das Geschäft. Auf der Straße ist kein Durchkommen mehr. Sonnenbebrillte Menschen stehen Schlange, um Caipi oder Bier zu ergattern. Auch die Bratwürste gehen gut weg. Das Huhn ist nicht ganz so gefragt.