: Das Eis über Afrika
Kältelehren (3): Steineiswüsten mitten in Afrika gibt es ganzjährig auf dem Gipfel des Mount Kenya zu bestaunen. 5.000 Höhenmeter machen den Unterschied vom schwülen Urwald zur kalten Brise
VON CORD RIECHELMANN
In einer ansonsten sehr heißen und sehr trockenen Region versprechen die ostafrikanischen Berge Regen und Abkühlung. Bei klarer Sicht ist aus einiger Entfernung der Schnee, der die Gipfel des Mount Kenya ganzjährig bedeckt, nicht zu übersehen. Verlockend ist aber nicht nur die da oben zu erwartende kalte Brise. Einer der Gipfel, der fast 5.000 Meter hohe Point Lenana, ist auch für Nichtalpinisten zu schaffen, und der Weg führt durch verschiedene Klima- und Vegetationszonen.
Allein sollte man aber auf keinen Fall den Aufstieg wagen. Das Beste ist, sich am Fuß des Berges einen Träger zu mieten. Meiner nannte sich Mike, weil sein richtiger Name für Leute wie mich unaussprechlich sei.
Bis zur Höhe von 3.000 Metern ging es durch dichten hohen Urwald, in dem die Luft schwülheiß zu stehen schien, während Mike von Elefanten, Büffeln und Leoparden erzählte, die jeden Moment aus dem Busch auftauchen könnten. Wobei die Betonung auf könnten liegt. Die großen Tiere scheinen in Afrika, wie in Russland Bären und Tiger oder in Polen Wisente und Wölfe, zuerst dafür da zu sein, dass von ihnen erzählt wird, nicht dass sie auch tatsächlich auftauchen. Was mir auch ganz lieb war, denn in Mikes Geschichten hatten Elefanten und Büffel ganze Dörfer, wenn nicht Landstriche dem Erdboden gleichgemacht.
Mit dem lichter werdenden Wald wurde dann aber zum Glück auch der Wind stärker, und die Schritte im Hochmoorland wurden schwerer. Meine jedenfalls, Mike schien über dem morastigen Sumpf zu schweben, obwohl er mein Gepäck trug. Zwischen den Moosen und Gräsern ragten wie drapiert sonderbare meterhohe, unverzweigte, dicke und dicht belaubte Stämme mit ihren Blüten obendrauf in die Landschaft. Schopfbaum-Lobelien sind die charakteristischen Pflanzen der Hochgebirge Ostafrikas. Bestäubt werden sie von Vögeln, die dementsprechend zahlreich sind und zwischen den Blüten hin und her fliegen. Bevor wir aber in die Steineiswüste um den Gipfel treten konnten, mussten wir in der Hütte unterhalb des Lenana übernachten. Einer Hütte, die man, wie Mike mitfühlend riet, am besten im Dunkeln betritt und wieder verlässt, ohne sich sein Bett genau anzusehen. Womit er recht hatte – was ich weiß, nachdem ich es mir doch angesehen hatte. Was insofern ungünstig war, als ich mich wegen der zu befürchtenden und besonders Europäer befallenden Höhenkrankheit sowieso schon auf jede abweichende Regung von Magen und Kopf sensibilisiert hatte.
Der Aufstieg am nächsten Morgen war dann aber der Hit. In der Nacht war die lähmende Hitze der afrikanischen Flachlandtage aus dem Körper gewichen, der Ausblick oben in der Sonne über Afrika war grandios.