Mom’s Writings

Eine Wiederbegegnung mit der Angst: Ihren Namen kennen nur wenige, die Motive ihres Schreibens schon mehr. Susan Taubes, Religionswissenschaftlerin und Autorin, wird am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung vorgestellt

VON ALEXANDER CAMMANN

Auf dem Tisch lagen zwei geöffnete Koffer mit Tagebuchblättern, Briefen und Pässen; unter dem Tisch stand ein Karton mit alten Manuskripten, Heftern, Korrespondenzen. Dieser unbehauste Anblick bot sich im Frühjahr 2003 zwei Literaturwissenschaftlerinnen aus Berlin, als sie in New York ein Altbauapartment an der Lower East Side betraten. Auf dem Karton stand „Mom’s Writings“: die Hinterlassenschaft eines Lebens.

Die Entdeckerinnen griffen hinein, lasen still für sich, an schönen Stellen laut. Und Mama hat Bemerkenswertes geschrieben. Am Freitagabend berichteten Sigrid Weigel, Leiterin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung (ZfL), und die Germanistin Christina Pareigis von ihrem damaligen New Yorker Erlebnis. Die Autorin und Religionsphilosophin Susan Taubes wäre am 12. Januar 2008 80 Jahre alt geworden. Das ZfL veranstaltete eine kleine Hommage aus Vorträgen und Lesungen an diese weithin unbekannte, 1939 nach Amerika emigrierte jüdische Intellektuelle.

1969 war sie freiwillig aus dem Leben geschieden. Im Todesjahr erschien ihr Roman „Divorcing“: zumeist gelesen als Schlüsselroman über ihr Leben und vor allem die Beziehung zu dem esoterisch-schillernden Religionsphilosophen Jacob Taubes, mit dem sie von 1949 bis 1961 verheiratet war und zwei Kinder hatte. Die deutsche Übersetzung des Romans, 1995 unter dem verunglückten Titel „Scheiden tut weh“ erschienen, brachte Sigrid Weigel auf die Spur. Susan Taubes in den USA lebende Kinder Ethan und Tania erklärten sich bereit, die Dokumente ihrer Mutter dem ZfL zu überlassen. Ethan kannte Deutschland, weil er einige Zeit bei seinem Vater Jacob gelebt hatte, der seit 1966 an der Berliner FU Judaistik lehrte. Vor allem Tanias Bedenken mussten ausgeräumt werden, die lange daran zweifelte, dass sich ihre Mutter Deutschland als zentralen Ort eines Nachlebens gewünscht hätte.

Schließlich kamen Koffer und Karton nach Berlin: Seit 2003 existiert das „Susan Taubes Archiv“, geleitet von Christina Pareigis. Hier wird der Nachlass erforscht und in einer auf fünf Bände geplanten Edition vorgestellt. 12.000 Blätter lagern mittlerweile im Archiv.

Leben und Werk der Susan Taubes mögen zunächst wie ein Seitenstrang der Intellektuellengeschichte aussehen. Doch schnell wird deutlich, wie sich im Schicksal dieser Frau gleich mehrere jener dramatischen Konstellationen überkreuzen, die das vergangene Jahrhundert zu bieten hatte. Zu entdecken ist ein Denken, geprägt von Emigration und dem Wissen um den erst ein paar Jahre zurückliegenden Holocaust, aufbauend auf jüdischem Erbe und den alteuropäischen Philosophietraditionen, geformt nach dem Krieg in der unruhigen Intellektuellenszene an der amerikanischen Ostküste. Leidenschaft, Empfindsamkeit, weibliche Emanzipation und geistige Unabhängigkeit, Kunst und Intellektualität kennzeichnen die vielschichtige Susan Taubes.

1939 kam die 1928 als Enkelin des Budapester Oberrabbiners geborene Judith Zsuzsanna Feldman mit ihrem Vater, einem Psychoanalytiker, nach Amerika. 1949 lernte sie den jungen Religionsphilosophen Jacob Taubes auf einer Literatenparty in New York kennen; die beiden heirateten noch im selben Jahr und gingen nach Jerusalem. Für Susan, die u. a. in Harvard und Princeton Philosophie studierte und Seminare bei Herbert Marcuse und Isaiah Berlin besuchte, begann ein unstetes Leben, oft fern von ihrem Mann. Die Endzwanzigerin verfasste bedeutende Aufsätze über Heidegger, Albert Camus und die 1943 verstorbene französische Jüdin Simone Weil, deren religiöses Denken sich katholischer Spiritualität angenähert hatte. Taubes promovierte 1956 mit ihrer Weil-Studie „The Absent God“ bei Paul Tillich in Harvard.

Doch die wissenschaftliche Produktivität Susan Taubes stockte allmählich; emotionale Nöte wirkten sich offenbar aus. Seit Beginn der Sechzigerjahre trat Literarisches in den Vordergrund. Sie schrieb Rezensionen, Lyrik und Dramen, gehörte zu einem Kreis von New Yorker Literaten um Susan Sonntag. Bereits in den von Sigrid Weigel gelesenen Auszügen aus Briefen, die Susan zu Beginn der Fünfzigerjahre an Jacob schrieb, offenbarte sich nicht nur Liebesglück und faszinierender Ideenreichtum einer jungen Frau. „I’m simply terrified“: schon hier kann man seelische Gefährdungen heraushören. Sigrid Weigel entdeckte Parallelen zu Ingeborg Bachmann: Beide teilten die Erfahrung innerer Spannungen zwischen Intellektualität und sexueller Zerrissenheit. Dass ausgerechnet Taubes später eine Liebesbeziehung mit Ingeborg Bachmann verband, erscheint daher als seltsam kunstvolle Ironie.