Justitia schützt Polizisten

Landgericht lehnt Hauptverfahren gegen zwei Polizeiführer wegen Freiheitsberaubung in mehr als 80 Fällen bei Bambule-Protest ab. Juristin wehrte sich fünf Jahre lang gegen ihre Behandlung

VON KAI VON APPEN

Das rechtswidrige Handeln der Polizei gegen den Bambule-Protest am 21. Dezember 2002 hat für die Einsatzleiter Kuno Lehmann und Stefan Schneider rechtlich kaum Konsequenzen. Fünf Jahre nach dem spektakulären Einsatz in der Innenstadt lehnte die Kammer 28 des Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen „Freiheitsberaubung in mehr als 80 Fällen“ ab. Das Gericht stellte die Verfahren vielmehr gegen die Zahlung von Geldbußen in Höhe von 2.300 und 1.500 Euro wegen „des geringen Maßes an Vorwerfbarkeit“ ein.

Wegen der Räumung der Bauwagenburg „Bambule“ im Karoviertel durch den Schwarz-Schill-Senat war es Ende 2002 zu Protesten gekommen – so auch amSamstag vor Weihnachten. Zunächst hatten 4.000 Menschen in St. Pauli demonstriert. Danach waren 1.500 Männer und Frauen zum „Anti-Schill-Shopping“ spontan in die City gezogen.

Die Polizei hatte von Innensenator Ronald Schill die Direktive bekommen, „Null-Toleranz“ zu zeigen. 2.500 Polizisten tummelten sich auf den ohnehin schon vollen Kaufmeilen. Vor dem Weihnachtsmarkt an der Mönckebergstraße kesselten Polizisten kurz vor Ladenschluss ohne Vorwarnung 200 mutmaßliche Bambulistas ein.

In das Tohuwabohu geriet zufällig die Anwältin Barbara Ede, als sie nach dem Einkaufen das Karstadt-Kaufhaus verließ (taz berichtete). Sie wurde von einem Beamten in den Polizeikessel gezogen, jedoch kurz darauf wieder herausgelassen. „Aber als ich mich mütterlich umdrehte und sagte: ,Was Sie hier machen, find’ ich nicht in Ordnung‘, hat er mich wieder in den Kessel gezogen“, erinnert sich Ede. Sie wurde in Gewahrsam genommen und abtransportiert.

Barbara Ede und einige Opfer ähnlicher Vorgehensweisen erstatteten Anfang 2003 Strafanzeigen. Doch die Staatsanwaltschaft reagierte nicht. Erst als sich im November 2005 auf Klage eines Betroffenen das Verwaltungsgericht mit den Vorgängen befasste, kam Bewegung in die Sache. Die Polizeijustiziar Ulrich Ettemeyer musste eingestehen, dass das Vorgehen „rechtlich zu beanstanden“ sei. Zuvor hatte der Richter Ulrich Ramsauer verdeutlicht, dass das Vorgehen der Polizei „schon deshalb rechtswidrig“ sei, weil die Proteste nach dem Versammlungsgesetz auch ohne Anmeldung geschützt gewesen seien.

Parallel führte auch Ede ihren Kampf weiter. Sie verklagte über ihren Anwalt, den Ex-Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling die Polizei auf Entschädigung wegen ihrer „psychischen und körperlich schmerzhaften Verletzungen“. Mit dem Prozess wollte sie zugleich erwirken, dass die Polizei ihr „immer wieder praktiziertes rechtwidriges Vorgehen einstellt“, so die Arbeitsrechtlerin. Es müsse „generalpräventiv“ verhindert werden, dass die Polizei „leichtfertig mit den Grundrechten umgeht“, betonte auch Kühling. Das Oberlandesgericht (OLG) gewährte Ede 500 Euro Schmerzensgeld.

Kühling kündigte vor dem OLG ein Klageerzwingungsverfahren an. Dieses veranlasste die Staatsanwalt Anfang 2007 doch noch gegen Lehmann und Schneider Anklage zu erheben. Zudem wurde der Polizist Jirko D. wegen „Körperverletzung durch Unterlassen“ angeklagt. Der Beamte hatte Ede stundenlang mit schmerzhaften Handfesseln auf dem Rücken im Gefangenentransporter sitzen lassen, obwohl es keinen Grund dafür gab.

Das Landgericht hob nun endgültig die schützende Hand über die Polizisten. Es habe „eine extrem schwierige Einsatzlage“ gegeben und die Angeklagten hätten „unter erheblichen Entscheidungsdruck“ gestanden, rechtfertigte das Gericht das Geschehen. Die Beamten seien bemüht gewesen, „ordnungsgemäß“ zu handeln. Daher sei ein öffentliches Interesse an „der lange zurückliegenden Tat deutlich gemindert“.

Edes Anwalt Kühling ist über den Beschluss entsetzt: „Bei Polizisten wird immer ein anderes Maß angelegt“, schimpft er. Polizeiführer Lehmann ist jedoch nicht ganz aus dem Schneider. Gegen ihn ist noch ein Verfahren wegen Sachbeschädigung anhängig. Lehmann hatte am 24. April 2004 die Auflösung einer Bauwagendemonstration verfügt und dabei das Aufbrechen der Wohnmobile angeordnet.