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Archiv-Artikel

Genie, Hetzer, Ausgestoßener

Bobby Fischer, der bewunderte Exzentriker am Schachbrett und politische Irrläufer, ist in Reykjavík gestorben

BADEN-BADEN taz ■ Der größte Schachspieler aller Zeiten ist tot: Bobby Fischer starb am Donnerstag mit 64 Jahren an der Stätte seines größten Triumphs, in Reykjavík. So meldeten es isländische Medien. Beim „Match des Jahrhunderts“ hatte der gebürtige Chicagoer 1972 den Russen Boris Spasski im WM-Kampf mit 12,5:8,5 vernichtet. Ein Tiefschlag für die Sowjetunion auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. In den USA stieg Fischer zum Nationalhelden auf – und wurde später zum Ausgestoßenen.

Nach seinem Sieg verteidigte der elfte Schach-Weltmeister der Geschichte seinen Titel 1975 gegen den neuen Sowjet-Stern Anatoli Karpow nicht. Erst 1992 trat der Exzentriker wieder an – zu einer Revanche gegen Spasski. In Ex-Jugoslawien hatte ein zwielichtiger Bankier 5,5 Millionen Dollar locker gemacht, um die Legende zu einer Rückkehr ans Brett zu bewegen. Glücklich wurde Fischer mit dem Geld aber nicht: Weil er mit dem Zweikampf das US-Embargo durchbrochen hatte und vor laufenden Kameras auf ein US-Schreiben spuckte, drohte ihm in der Heimat eine Gefängnisstrafe. Fortan tauchte das Genie mit einem Intelligenzquotienten von 186 unter und versteckte sich in Deutschland, Ungarn und Japan. Als er 2004 in Tokio bei einem Ausreiseversuch mit einem abgelaufenen US-Pass festgenommen wurde, schoben ihn die Japaner nach Island ab. Dort erhielt er aufgrund seiner Verdienste um die Bekanntheit der kleinen Insel die isländische Staatsbürgerschaft. Dort starb er nun im Krankenhaus.

Selten herrschte in Schachkreisen solche Einigkeit, was einen Spieler betrifft. „Fischer ist das größte Genie, das je vom Schachhimmel herabgestiegen ist“, sagte bereits einer seiner Vorgänger als Weltmeister, Michail Tal. Auf dem Weg durch die WM-Kandidaten-Zweikämpfe hatte der Großmeister aus Pasadena eine unglaubliche Serie von 19 Siegen hintereinander – ohne einziges Remis – gefeiert. Neben dem Dänen Bent Larsen deklassierte das einstige Wunderkind, das mit 14 US-Meister und mit 15 Jahren jüngster Großmeister aller Zeiten geworden war, auch Mark Taimanow. Der Russe erklärte nach dem 0:6 deprimiert: „Dieses schreckliche Gefühl, dass ich gegen eine Maschine spielte, die niemals Fehler macht, zerschmetterte meinen Widerstand.“

Der unglaubliche Siegeswillen und die einschüchternde Art waren Fischers Trümpfe, auch wenn er selbst sagte: „Ich glaube nicht an Psychologie, ich glaube an gute Züge.“ Mit diesen gedachte er „das Ego des Gegners zu zermalmen“. Der Verstorbene war von sich selbst sehr eingenommen – was auf dem Brett ein Vorteil war, ihm aber im Leben meist Ärger bescherte. Obwohl er selbst jüdische Wurzeln hatte, waren seine antisemitischen Hetztiraden und gegen seine alte Heimat gefürchtet. Auch mit Frauen hatte er Probleme. „Es gibt keine einzige Frau, der ich nicht einen Springer vorgeben könnte und trotzdem gewänne“, sagte er einmal. Zum Thema Frauen und Sex fiel ihm ein: „Schach ist besser!“ Ungeachtet seiner Eskapaden vergöttern ihn zahllose Schachspieler, und Bücher über Fischer bleiben Bestseller.

64 Felder besitzt das Schachbrett – mit 64 Jahren rief Schachgöttin Caissa ihren Größten zu sich. HARTMUT METZ