piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine Haupt-, zwei Nebenrollen

SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann wird bodenständiger Realpolitiker – wenn er sich mit einem philosophisch aufgelegten Helmut Schmidt die Bühne teilen darf, so wie jetzt im Thalia

Von ELKE SPANNER

Standing Ovations gibt es bereits, noch ehe das erste Wort gefallen ist. Natürlich wird Helmut Schmidt nicht namentlich vorgestellt wie zuvor der Moderator, Ulrich Wickert. Das wäre eine Beleidigung, und heute will man nicht konfrontieren, sondern etwas feiern: die Hamburger Sozialdemokratie. Der Einzug von Michael Naumann auf die Bühne geht anschließend im Applaus für Schmidt unter, aber da er als „künftiger Bürgermeister“ vorgestellt wird, darf der Kandidat den Beifall auch ein bisschen auf sich beziehen: Naumann strahlt.

Das Thalia Theater ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Inszenierung findet an diesem Sonntag auch im Publikum statt. Sich in Gesellschaft von Prominenz zu befinden, das macht selbst groß. Wer etwas auf sich zählt, hat sich deshalb einen feinen Anzug angezogen. Die Zuschauer dürfen zwei Stunden später nicht nur voller Stolz darüber nach Hause gehen, Teil einer großen sozialdemokratischen Nabelschau geworden zu sein. Sie sind auch Zeugen einer Premiere der ganz besonderen Art geworden: Helmut Schmidt hat eineinhalb Stunden lang nicht geraucht – das hat er außer vielleicht nachts im Schlaf wohl seit über 70 Jahren nicht mehr geschafft.

Was beweist, welch ein Diplomat der Altbundeskanzler ist. Denn natürlich hätte ihm niemand das Qualmen untersagt. Im Gegenteil: Ein Aschenbecher stand für ihn bereit, und Moderator Wickert hatte Schmidts Griff zur Zigarette schon angekündigt. Als „großen Darsteller“ hatte er ihn bezeichnet, der dem Rauchverbot zum Trotz, natürlich, auf der Bühne rauchen darf. Aber ein Helmut Schmidt hat es gar nicht nötig, Erwartungen zu erfüllen. Gerade, wenn alle darauf lauern, raucht er eben gerade nicht. Und zieht, nach einer Stunde, seinen Schnupftabak aus der Jackettasche, krümelt ihn auf den Handrücken seiner Linken, zieht kräftig hoch und bringt den Nikotingehalt seines Blutes auf den gewohnten Pegel – qualmfrei.

Obwohl die Matinee als einer der Höhepunkte im Hamburger Wahlkampf gilt, fällt das Wort Hamburg erst nach einer Viertelstunde. Bis dahin hat Schmidt über den wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen zwei Jahre philosophiert, der kein nationaler, sondern ein weltweiter Aufschwung gewesen sei. Da bringt Naumann die Hamburger Wirtschaft ins Spiel: „Helmut Schmidt“, fragt er devot, „wie soll die Hafenwirtschaft auf wirtschaftlichen Abschwung reagieren?“ Schmidt beruhigt den Bürgermeisterkandidaten: Über das Wachstum des Hafens brauche er sich keine Sorgen zu machen. Fraglich sei allein, ob Hamburg dem gewachsen sei. „Das hängt davon ab, ob zum Beispiel die Elbe tief genug dafür ist“, sagt er und ist plötzlich Wahlkämpfer. Schmidt bekommt Applaus, und Naumann stimmt zu: „Die Elbvertiefung ist unumgänglich.“

Die Rollen auf der Bühne sind verteilt: Schmidt ist der Unterhalter, schwärmt von den früheren Bürgermeistern Max Brauer, „einem Mann von ungeheurer Vitalität“, und Herbert Weichmann, einer „geistigen Potenz“. Daneben wird Naumann zum nüchternen Realpolitiker. Doziert über die Hafenquerspange, über den Containertransport auf Schuten und die Y-Trasse. Das gereicht ihm nicht zum Nachteil: Bisher hatte ja gerade Naumann eher mit dem Problem zu kämpfen, als Schöngeist abgetan zu werden, der keine Ahnung hat von den Niederungen der Lokal- und Landespolitik. Am Image eines bodenständigen Politikers arbeitet er redlich, und vor dem Spiegel eines Intellektuellen wie Schmidt gelingt ihm das sogar.

Wickert hatte die Bühnenbesetzung vorab als „ein Hauptdarsteller und zwei Nebendarsteller“ bezeichnet. Diese Konstellation halten die Akteure konsequent ein: Schmidt verweigert sich jedem Versuch, als Naumann-Ratgeber inszeniert zu werden. „Wie kann ein Finanzsenator den wirtschaftlichen Abschwung bremsen?“, will Naumann vom Altbundeskanzler wissen, und der antwortet: „Mit nationalen Mitteln kann man die Konjunktur in Deutschland nicht mehr steuern.“ Dann will Wickert Tipps hören, die Schmidt dem Kandidaten mit auf den Weg zu geben habe. Erneut bremst der Altkanzler aus: „Ich habe noch nie jemandem einen Ratschlag gegeben, ohne dass er mich danach gefragt hat.“

So bleibt es Naumann vorbehalten, über Hamburg zu sprechen. Seine Kandidatur erklärt er biografisch: Seine Mutter habe ihre Kinder im Nachkriegsdeutschland nach dem Prinzip „sozialer Aufstieg durch Bildung“ nach oben gebracht – einem sozialdemokratischen Prinzip. Nach diesem Schlusssatz gibt es wieder Standing Ovations – diesmal tatsächlich für ihn.