: Römisches Chaos
Italiens Politiker haben sich als unfähig erwiesen, das politische System zu reformieren und den Staat zu modernisieren. Der Niedergang des Landes scheint unaufhaltsam
Mindestens drei Mal in den letzten 15 Jahren gab es gute Nachrichten aus Italien. Es begann 1993, als im Angesicht der Korruptionsermittlungen gegen die alten Regierungsparteien der Ersten Republik der Volkszorn hochkochte. Die Parteien lösten sich binnen Monaten wie Schnee an der Sonne auf. Es ging weiter 1996, als Romano Prodi gegen Silvio Berlusconi – der hatte 1994 schon für ein paar Monate regiert – die Wahlen gewann und damit dem populistischen Albtraum erst mal ein Ende machte. Und der vorerst letzte Akt war dann 2006: Da wählten die Italiener erneut Berlusconi ab, betrauten stattdessen wieder Prodi mit der Regierung.
Schon diese Wiederholung der „guten Nachrichten“, über die sich regelmäßig fast ganz Europa freute, zeigt, dass sie gar keine waren. Nein, seit 15 Jahren ist und bleibt Berlusconi die Konstante der italienischen Politik. Und er hat diesmal hervorragende Chancen, zu siegen. Mehr noch: All jene Defekte und Defizite, mit denen im Übergang zur erhofften „Zweiten Republik“ aufgeräumt werden sollte, sind weiterhin präsent.
Was hatten Politologen und Journalisten seinerzeit geschwärmt: Schluss sei jetzt mit der „Partitocrazia“, mit jener alles durchdringenden Herrschaft der Parteien über jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens, Schluss auch mit dem „unvollständigen bipolaren System“, in dem die Democrazia Cristiana Giulio Andreottis immer an der Regierung saß, die KPI dagegen zur Opposition verdammt war. Italien sei zur reifen Demokratie geworden, die das politische System reformieren und dann den Staatsapparat endlich effizient gestalten und das Land nach vorn bringen kann.
Doch jener damals beschworene Aufbruch hat nie stattgefunden. Ja, es war ohnehin ein Missverständnis, den Volkszorn über die korrupten Politiker mit einem Aufstand anständiger Staatsbürger im Namen demokratischer Ethik zu verwechseln. Ein Gros der Zornigen war von populistischen Motiven getrieben, ärgerte sich über die Korruption – die war seit Jahrzehnten bekannt – bloß, weil der Staat die Bürger im Rahmen der Sanierungspolitik plötzlich teuer zu stehen kam, und klagte das alte „Recht“ auf Steuerhinterziehung ein.
Und so waren es gerade die früheren Wähler der Regierungsparteien, die keineswegs für eine Reform der Politik votierten, sondern für einen populistischen Ausweg – für den sich mit Silvio Berlusconi der kongeniale Kandidat zur Verfügung stellte. Einmal in der Politik, gab Berlusconi der Auseinandersetzung eine entscheidende Wendung: Es ging nicht mehr um den Aufbruch hin zu einem saubereren, effizienteren politischen System. Stattdessen gab es Heilsversprechen.
Zunächst von rechts, von Berlusconi und seinen Partnern: Einmal an der Macht, würden die „Unverbrauchten“ Schluss machen mit dem alten Schlendrian und eine „italienische Revolution“ entfesseln, vor allem dank der Senkung der Steuern. Spiegelbildlich gab es dann auch von links ein Heilsversprechen. Das war nicht mehr das sozialistische Morgenrot der glorreichen KPI-Zeiten, sondern, weit bescheidener und rein reaktiv: weg mit Berlusconi.
Beide scheiterten grandios in den jeweils fünf Jahren der Mitte-links-Regierungen (1996–2001) und der Berlusconi-Regierung (2001–2006). Erst war Berlusconi weg und Prodi da; der führte Italien zwar erfolgreich in den Euro, dann aber war die Luft raus, zu nennenswerten Reformen zeigte die Koalition sich nicht imstande. Berlusconis Bilanz war genauso mager – statt „italienischer Revolution“ gab es gerade mal ein paar Steueramnestien und sonst Gesetze, die vor allem dem Regierungschef selbst nützten.
Ansonsten aber erinnert Italien fatal an das Land vor 15 Jahren. Die Parteienlandschaft: völlig zersplittert. Die staatlichen Institutionen: zu Entscheidungen kaum fähig. Der Staatsapparat: ebenso teuer wie ineffizient. Die Müllkatastrophe von Neapel war da nur das letzte Beispiel. Im Ausland machen andere Fälle kaum von sich reden, die für die alte, neue Misswirtschaft stehen. Etwa die Kläranlagen in Kalabrien, die zu Dutzenden mit Millionenaufwand errichtet wurden – um gleich darauf wegen eines „neuen Entsorgungskonzeptes“ zugesperrt zu werden. Im zweiten Schritt dann erfolgte die Errichtung neuer Großkläranlagen, wieder für Millionen. Nachdem so zweimal das Geld ausgegeben wurde, funktioniert nichts – und die Touristen an Kalabriens Stränden baden in Fäkalien.
Die Chiffre dieser Skandale, die in Italien keine sind, ist und bleibt die „Partitocrazia“: Italiens Staat wirft das Geld nicht einfach zum Fenster heraus, sondern finanziert wie gehabt politische Klienteln, schafft sinnlose Arbeitsplätze, schustert „Freunden“ Aufträge zu. Und wie in der Ersten Republik kommandiert diese Partitocrazia überall – entscheidet aber nichts. Nichts jedenfalls, wenn es um anderes geht als Pöstchenbesetzung oder Geldflüsse. Zur Reform, zu planendem Handeln, zum Anschieben großer Infrastrukturprojekte, zur Modernisierung der Universitäten, zur Förderung alternativer Energien ist Italiens Politik schier unfähig.
„Declino“, Niedergang, nennen die Italiener mittlerweile den Trend in ihrem Land. In der Tat, Italien kommt nicht von der Stelle – und das heißt: Es verliert den Anschluss. Der Produktivitätszuwachs in der Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren bei null eingependelt, bloß noch ein Prozent der Studenten an den Unis kommen aus dem Ausland (in Deutschland, Frankreich, Großbritannien sind es zwischen 8 und 10 Prozent), und auch ausländische Investoren machen trotz niedriger Löhne einen weiten Bogen um Italien.
Es ist das Drama der Mitte-links-Allianz, dass auch sie in ihren Jahren an der Regierung diese Entwicklungen nie wirksam korrigiert hat. Wie auch: sie selbst wirkte ja wie ein Déjà-vu der Ersten Republik, zersplittert, zerfasert, politisch überdehnt, zusammengehalten bloß durch das Schreckgespenst Berlusconi. Diese zusammengeschusterte Regierungskoalition war unfähig zur Reform der Parteien und der Politik. Dass da Bedarf herrschte, war bekannt. Doch allein der Zusammenschluss zwischen den Linksdemokraten und den gemäßigten Kräften der Mitte in der „Demokratischen Partei“ brauchte zehn Jahre. Und schlimmer noch: Bloß um Berlusconi zu verhindern, tat man sich mit allen zusammen, die auf dem Markt zu haben waren – so auch mit Clemente Mastella, Christdemokrat und Klientelpolitiker aus altem Schrot und Korn, der jetzt Prodi stürzte.
Walter Veltroni, der neue Spitzenkandidat der Demokratischen Partei, hat wenigstens dies begriffen: „Berlusconi verhindern“ ist kein politisches Programm. Er hat Schluss gemacht mit den alten Allianzen und riskiert mit dem Alleingang der Demokraten die Niederlage. Aber eine kleine Revolution hat er jetzt schon geschafft: Im nächsten Parlament werden statt 25 nur noch sechs oder sieben Parteien sitzen. Das alleine wäre die einschneidendste Reform seit 15 Jahren. MICHAEL BRAUN
Fotohinweis:Michael Braun ist Politologe und hat sich vor allem mit Parteiensystemen in den westeuropäischen Ländern befasst. 1991 promovierte er über die italienische Gewerkschaftsbewegung. Seit 2000 ist er Italienkorrespondent der taz.