: „Pathos impliziert für mich nichts Gutes“
Natürlich schätzt er seinen Landsmann, aber speziell verpflichtet fühlt er sich ihm nicht: Er sei einfach mit Grieg aufgewachsen und liebe dessen Musik, sagt der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes, der jetzt in Hamburg gastiert
taz: Herr Andsnes, Sie spielen ja sehr schnörkellos. Sind Sie ein Anti-Romantiker?
Leif Ove Andsnes: Nein. Ich tue alles mit großer Leidenschaft. Und ich bin sehr emotional, wenn es um Musik geht.
Aber schätzen Sie auch die pathetische Interpretation?
Pathos – das ist etwas anderes. Pathos impliziert für mich nichts Gutes. Ich schätze zwar die emotionale Interpretation eines Stücks. Sie muss aber trotzdem so klar sein, dass die Struktur hörbar bleibt. Deshalb suche ich bei jedem Stück nach einer Wahrheit, die über die Emotionen des Pianisten hinausreicht.
Wie finden Sie diese Wahrheit?
Es ist eine Mixtur aus Technik und Intuition. In der westlichen Welt unterscheiden wir stark zwischen „Technik“ und „Musikalität“. Aber die musikalische Wahrheit kann man nur durch musikalisches Denken finden. Die Technik ist Voraussetzung hierfür. Als Pianist muss man wissen, wie man sich bewegen muss, aber man braucht auch musikalische Ideen. Im Arbeitsprozess wird das eins. Das ist kein Vorgang, bei dem man entscheiden kann: Jetzt spiele ich die Noten, und jetzt widme ich mich dem Musikalischen.
Wie befreien Sie sich von den Interpretationen der anderen? Hören Sie sich die während der Arbeitsphase überhaupt an?
Man kann sich schwer entziehen. Als ich zum Beispiel hörte, wie Arturo Benedetti Michelangeli das Ravel-Klavierkonzert interpretiert, war klar, dass ich das nicht spielen würde. Diese Interpretation lässt alles andere armselig erscheinen. Aber abgesehen davon: Während ich ein Stück einstudiere, höre ich mir keine Aufnahmen an.
Fühlen Sie sich nordischen Komponisten wie Grieg und Sibelius besonders verpflichtet? Sie spielen sie ziemlich oft.
Sibelius habe ich erst kürzlich entdeckt; ich spiele ihn erst seit der vorigen Saison. Er ist der mir liebste nordische Komponist. Was Grieg betrifft: Ja, ich habe ihn viel gespielt – aber nicht, weil ich Norweger bin wie er. Ich schätze seine Musik einfach. Das wiederum hat vielleicht doch damit zu tun, dass ich Norweger bin. Denn ich bin mit Griegs Musik aufgewachsen. Die Ballade in g-Moll, die ich auch in Hamburg spielen werde, habe ich allerdings erst vor kurzem entdeckt. Ich hatte immer Scheu vor diesem Stück, weil es sehr düster ist. Inzwischen habe ich diese Ballade schätzen gelernt. Sie hat eine Tiefe, die selten ist bei Grieg.
Können Sie Ihre Beziehung zu Grieg konkretisieren?
Ich habe seine Stücke seit meiner Kindheit gespielt, und ich liebe diese Musik. Vielleicht aufgrund der Gewohnheit, vielleicht einfach so, wer weiß. Jedenfalls berühren mich die speziellen Grieg‘schen Harmonien sehr – auch wenn er kein so herausragender Komponist war wie Mozart oder Beethoven.
Speisen sich Griegs Harmonien aus der norwegischen Volksmusik, die er sammelte?
Ich bin nicht sicher, dass die Harmonien aus der Volksmusik stammen, wohl aber die Melodien. Und natürlich die Eigenart, die Melodie eher zu sprechen als zu singen. Was die Harmonien betrifft, wusste Grieg selbst nicht genau, woher sie kamen. Und was merkwürdig ist: Wir Norweger finden, dass Grieg sehr norwegisch klingt – aber in Wirklichkeit glaube ich, dass Grieg diese Melodien frei erfand.
Berühmtsein in Norwegen: Kollidiert das nicht mit dem ungeschriebenen „Janteloven“-Gesetz, dem zufolge keiner aus der Gruppe ausscheren darf?
Ich halte das „Janteloven“ eher für ein dänisches Problem. Ich wohne in Kopenhagen und finde, die Dänen haben viel davon. Wir Norweger auch – aber wir sind doch eher stolz auf das, was der Einzelne zum Wohl unseres Landes tut. Das liegt wohl daran, dass wir eine junge Nation sind, die erst vor 103 Jahren unabhängig wurde.
Und die Dänen sind anders?
Ich habe den Eindruck, dass sie weniger stolz sind auf das, was ihre Leute tun – es sei denn, es geht um Fußball, dann werden sie crazy. Aber abgesehen davon entwickeln die Dänen nicht dieselbe Art von Enthusiasmus. Sie finden eher, dass man sich entspannen soll. „Sei nicht so ehrgeizig, trink ein Bier“, heißt es dann.
Das kann für Sie doch sehr entspannend sein.
Ja, es ist ein guter Ort, um heimzukommen. Aber man muss aufpassen, dass man nicht träge wird. INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
Leif Ove Andsnes spielt Werke von Bach, Schubert, Grieg und Debussy: Sa, 8. 3., 19.30 Uhr, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz