: „Es geht um die Zukunft der Region“
Die Nationalisten wollen das Kosovothema ausnutzen, warnt die Vorsitzende des Belgrader Helsinki-Komitees
taz: Frau Biserko, Serbiens Ministerpräsident Vojislav Koštunica hat Neuwahlen angekündigt. Was erwarten Sie davon?
Sonja Biserko: Es gab für Koštunica keine andere Lösung, als Neuwahlen auszurufen. Weil er unpopulär geworden ist, sucht er jetzt die Gelegenheit, mit dem Kosovothema wieder Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen.
Aber geht die Tragweite einer solchen Wahl nicht über wahltaktische Überlegungen einer Partei hinaus?
Natürlich. Das gesamte konservative Lager will das Kosovothema nutzen, um Machtpositionen auszubauen. Die Lage ist ernst – das rechte Lager will die europäische Option für die Zukunft Serbiens kippen und die Möglichkeit offenhalten, sich im Kosovo einzumischen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die serbischen Bürger seit 30 Jahren einer antieuropäischen Propaganda ausgesetzt ist. Das hat natürlich Spuren hinterlassen. Dennoch sehe ich auch eine Chance für die zivilgesellschaftlichen und demokratischen Kräfte in Serbien.
Und welche ist das?
Es ist sicher ein Vorteil, dass nun die Demokratische Partei, die G-17 plus, die Liberalen und die Zivilgesellschaft zusammen kämpfen müssen. Wir aus den Initiativen der Zivilgesellschaft sind als außerparlamentarische Kraft nicht mehr isoliert – das ist gut so. Wir hoffen, dass die Gesellschaft reifer ist, als die bisherige Politik dies bisher vermuten ließ.
Woher nehmen Sie diese Hoffnung?
Ein Anzeichen dafür ist, dass die Demonstrationen nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos keineswegs so riesig waren wie von den Organisatoren erhofft. Die meisten Menschen sind zu Hause geblieben. Die ausländischen Botschaften wurden von Paramilitärs und Radikalen angegriffen – nicht von der Bevölkerung.
Der Ex-General der bosnischen Armee, Jovan Divjak, meint, die Kriege der 90er-Jahre hätten in Belgrad begonnen und würden in Belgrad enden. Ist jetzt der Moment der Entscheidung zwischen Demokraten und Nationalisten in Serbien gekommen?
Da ist schon was Wahres dran. Es geht bei den Wahlen um eine grundsätzliche Weichenstellung für die Zukunft Serbiens. Die Radikalen drohen sogar Kroatien, Mazedonien und Montenegro, weil die das Kosovo anerkennen wollen. Es geht also auch um die Zukunft der Region. Beide Lager werden kämpfen. Ich hoffe für uns alle, dass wir gewinnen werden.
INTERVIEW: ERICH RATHFELDER