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Archiv-Artikel

Gespenstische Doktoren

Unter dem Titel „Lumen Christie’s“ haben St. Katharinen, die Hochschule für bildenden Künste und das Stadtentwicklungsbüro Übernormalnull gemeinsam einen künstlerischen Kreuzweg entwickelt

VON KLAUS IRLER

Erhaben, dieser Plastik-Müll. Er befindet sich oben auf der Empore der St. Katharinen-Kirche, und stapelt sich acht Meter hoch. Es sind bunte Kabel, Schläuche, Schaufensterpuppenbeine und Leuchtstoffröhren. Ein großer Organismus aus unbrauchbaren Resten, der doch auf eine gewisse Weise zu Hause ist in diesem Kirchenraum. Die Müll-Collage nämlich ist zusammengesetzt nach dem Vorbild eines barocken bayerischen Altars. Man erkennt es nicht auf den ersten Blick, auf den zweiten aber allemal.

Gebaut hat diesen Altar der 27-Jährige Max Frisinger, der an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) bei Norbert Schwontkowski studiert. Es ist eine von rund 30 Arbeiten, die die HfbK-Studierenden derzeit in der St. Katharinen Kirche zeigen.

Die Kirche wiederum ist die erste Station eines künstlerischen „Kreuzweges“, der durch die Hafencity führt. Dort gibt es an zwölf weiteren Stationen die Arbeiten von freien KünstlerInnen, und alles in allem ist das dann das Projekt „Lumen Christie’s“, für das sich sich die HfbK, die Hauptkirche St. Katharinen und das Stadtentwicklungsbüro Übernormalnull zusammengetan haben. Weil bald Ostern ist. Und weil sowohl die Kirche als auch die Hafencity reizvoll sind als Schauplätze für künstlerische Interventionen, wie es so schön heißt.

In der Kirche zum Beispiel interveniert Patrick Farzar mit einer Kruzifix-Variante, bei der Jesus nicht an einem Kreuz, sondern an einem Tennisschläger hängt – was Diskussionen im Gästebuch der Ausstellung provoziert. Im Begleitreader steht, es ginge bei Farzars Arbeit nicht um Glaubenskritik, vielmehr habe der Künstler den Aspekt des Humors im Glauben hervorheben wollen. Das liest sich rührend naiv. Und zeigt, wie schwer sich die Künstler tun, aus dem Religiösen etwas zu machen, das nichts mit der guten alten Provokation zu tun hat.

Interessanter ist da eine Arbeit, bei der ein Matratzen-Discounter eine Rolle spielt. Verena Issel und Stefan Vogel haben den Kirchenraum gestaltet mit einem mächtigen Gebilde aus verschachtelten Pappkarton-Flächen, es sieht aus, als wäre hier gerade etwas eingestürzt. Inmitten der Fläche stehen lebensgroße Pappfiguren, ihrem Kittel und Stethoskop nach Ärzte. Die Pappfiguren werden sonst von einem Matratzen-Discounter zur Werbung eingesetzt. Die Doktoren haben Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger ausgestreckt und zitieren damit ungewollt das Zeichen für die Heilige Dreifaltigkeit in Christusdarstellungen. Die beiden Künstler lassen die Hände der Doktoren nun per Elektromotor um den Ellenbogen kreisen. Es ist eine gespenstische Szenerie. Das Sinngebäude ist eingestürzt, der Arzt hat Elektroantrieb und alles dreht sich – aber Hauptsache billig.

Es geht künstlerisch wild durcheinander in dieser Kirche, und das ergibt eine durchaus furiose erste Station. Draußen in der Hafencity hat man als Kreuzweg-Besucher dann aber Schwierigkeiten, auf den Straßen und Brücken das zu entdecken, was da als Kunst im öffentlichen Raum warten soll. Das Baugeschehen ist zu heftig, der Wahnsinn eines Retorten-Stadtteils zu groß – und die Kunst vor diesem Hintergrund zu klein.

Da gibt es dann Marnie Modenhauers kreuzförmig arrangierte Dixie-Klos an den Marco-Polo-Terrassen, die inhaltlich wenig aussagekräftig sind. Oder das Floß der Künstlerinnen Julia Münz und Annika Unterburg, auf dem steht: „Wünsche versenken“. Oder ein buntes Kreuz von Carola Zech an einer Fassade, von dem man sich nicht sicher ist: Gehört das Kreuz dazu? Oder ist es Dekor vom Café nebenan?

Kreuzweg, Kunst und Hafencity haben kaum etwas miteinander zu tun, und die Bezüge zwischen den dreien werden durch das Projekt nicht stärker. Ist man einmal aus der Hauptkirche raus, besteht das Kunsterlebnis bei „Lumen Christie’s“ vor allem darin, das Baugeschehen in der Hafencity mit anderen Augen zu sehen. Das veredelt die Hafencity. Und der Kunst schadet es nicht. Sie hat aber auch nichts davon.

Führungen bis 6. 4., Mo–Fr 17 Uhr, So 13 Uhr am Eingang der Hauptkirche St. Katharinen. Kosten: 5 Euro. Nachtführung am 27. 3. und 3. 4. nach der Veranstaltung „FeierAbend“ um 18.30 Uhr