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Archiv-Artikel

Der Handel mit Kindern geht weiter

Mit einem neuen Adoptionsrecht wollte Guatemala Kriminellen das Handwerk legen. Es klappt nicht

GUATEMALA-STADT taz ■ Glaubt man den offiziellen Angaben, so ist die Zahl der ausländischen Kindesadoptionen in Guatemala seit Jahresbeginn dramatisch gesunken. Beim Nationalen Rat für Adoptionen sollen im ersten Quartal 2008 gerade mal 20 Anträge eingegangen sein. In früheren Jahren waren es in drei Monaten jeweils mehr als tausend. Adoptionen ins Ausland waren ein Bombengeschäft. Nach Schätzungen von Sozialverbänden verdienten die darauf spezialisierten Anwälte um die 200 Millionen Dollar im Jahr. Oft war die Identität der adoptierten Kinder gefälscht. Viele waren geraubt oder ihren Müttern unter falschen Versprechen abgeschwatzt worden. Es gab sogar Fälle von Vergewaltigungen, um Kinder für Adoptionen zu zeugen (die taz berichtete am 22. 8. 2007). Ein zum Jahreswechsel in Kraft getretenes neues Adoptionsgesetz sollte solche Machenschaften verhindern. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die neuen Regeln in großem Stil umgangen werden. Am Samstag enthüllte die Tageszeitung Siglo XXI, dass 650 Kinder am Gesetz vorbei zur Adoption freigegeben wurden.

Das gerade 13 Millionen Einwohner zählende Guatemala war in den vergangenen Jahren nach China das weltweit zweitgrößte Exportland für Adoptivkinder. Mehr als 4.000 meist indianische Kleinkinder wurden von ausländischen Paaren angenommen. 95 Prozent dieser Kinder gingen in die USA. Ein neues Adoptionsrecht sollte dem Kinderhandel ein Ende bereiten. Seit dem 1. Januar muss der neu geschaffene Nationale Rat für Adoptionen die Identität und Vorgeschichte von Kindern prüfen, bevor sie in einer gemeinsamen Entscheidung mit dem Büro des staatlichen Ombudsmanns legal adoptiert werden können.

Offenbar funktioniert dieses Verfahren überhaupt nicht. Der Adoptionsrat hat sich noch nicht einmal ein internes Regelwerk zum Ablauf des Verfahrens gegeben. Die im Gesetz vorgesehene Frist dafür ist bereits Ende Februar abgelaufen. Nach den Recherchen von Siglo XXI wurden unter dem neuen Gesetz trotzdem 650 Kinder zur Adoption freigegeben. Adoptionsrat und Ombudsmann schieben sich nun die Verantwortung dafür gegenseitig zu.

Da nach Angaben des Adoptionsrats in diesem Jahr lediglich 20 Anträge auf Freigabe von Kindern gestellt wurden, dürften die 650 adoptierten Kinder zu den „Altlasten“ gehören. Als das neue Adoptionsrecht in Kraft trat, waren bei den Gerichten noch 2.938 Fälle aus dem Vorjahr anhängig. Nach der guatemaltekischen Verfassung können Gesetze nicht rückwirkend gelten, und so ist völlig unklar, wie mit diesen Kindern verfahren werden soll. „Niemand weiß, wo diese Kinder heute sind“, sagt Vásquez von der regierungsunabhängigen Bewegung für die Rechte von Kindern und Jugendlichen. „Sind sie in staatlichen Kinderheimen oder in den Händen von Privatleuten?“

Nachfragen beim Adoptionsrat hätten ergeben, dass auch dieser nichts über den Verbleib der Kinder wisse. Die Zahl geraubter Kinder hat sich nach den Statistiken der Kinderschützer nicht wesentlich verändert. Das neue Gesetz mag gut sein. Es scheint sich nur niemand daran zu halten. TONI KEPPELER