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Archiv-Artikel

„Ab 1916 bedeutet der Expressionismus Widerstand“

Wie geht der Erste Weltkrieg in die Kunstproduktion der Kriegsjahre ein? Dieser Frage geht eine Ausstellung in Oldenburg nach

BERND KÜSTER, 56, ist Kunsthistoriker. Von 1992 bis 1999 leitete er die Kunsthalle Wilhelmshaven, danach das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg.

taz: Herr Küster, „Der Erste Weltkrieg und die Kunst“, ist das nicht ein hinlänglich dokumentiertes Thema?

Bernd Küster: Überhaupt nicht. Es hat zwar eine Unmenge von historischen Untersuchungen zum Thema gegeben, aber keine kunsthistorischen. Wir betreten hier tatsächlich Neuland.

Kaum zu glauben.

Es heißt in der Kunstgeschichte immer: Vor dem Krieg gab es eine spannende Kunst, und nach dem Krieg gab‘s wieder eine spannende Kunst – so als wäre der Krieg selbst eine Art Auszeit. Das ist Unsinn. Die Ausstellung zeigt jetzt: es hat in diesen Jahren eine ungebrochene künstlerische Produktion gegeben, und der Krieg selbst hat einen vehementen Umbruch für die Künstler bedeutet: Keiner ist in ihn hineingegangen, wie er aus ihm herausgegangen ist.

Wie haben die Künstler denn auf den Krieg reagiert?

Wir folgen in der Ausstellung der Chronologie der Ereignisse. Die vier Kriegsjahre haben wir auf vier Ausstellungsräume verteilt. Zwei Hauptströmungen sind uns dabei aufgefallen. Zum einen gibt es die ideologiebesetzte, propagandalastige Wahrnehmung. Das waren vor allem Maler der älteren, bereits kriegsuntauglichen Generation, Impressionisten und Naturalisten. Die jüngere Generation, die am Krieg aktiv teilnahm, das waren bereits die Expressionisten. Und bei denen regte sich vom ersten Moment an Widerstand.

Aber die expressionistischen Maler Franz Marc und August Macke etwa meldeten sich doch freiwillig zum Fronteinsatz – und bezahlten das mit ihrem Leben.

Es gab eine anfängliche Kriegsbegeisterung. Der Expressionismus hatte ja in den Jahren davor einen Weltenbrand herbeigesehnt, eine Läuterung, aus der eine neue Humanität hervorgehen sollte. Ihre Malerei war ein Umbruch, ein Versuch der Neubegründung. Und plötzlich gab es diesen Umbruch auch außerhalb der Kunst, mitten im zivilisierten Europa. Daran als Augenzeuge teilzunehmen hat viele verlockt.

Sahen sie den Krieg als die Einlösung ihrer Malerei?

In gewisser Weise ja. Aber recht bald begriffen die Expressionisten auch das Grauenhafte des Kriegs, das tägliche Sterben, die Panik und Beklemmung, die mit ihm einhergingen. Sie fanden dafür in ihren Werken eine unmissverständliche, nichts beschönigende Sprache. Und so kommt es, dass ab 1916 der Expressionismus gleichbedeutend wird mit Pazifismus, mit Widerstand und Friedenssehnsucht.

Gut, die Botschaft ist eine neue, aber ändert sich auch die Malweise der Expressionisten?

Der Vorkriegsexpressionismus ist ein farbig-üppiger, verspielt, man könnte auch sagen ein Formenexperiment. Mit dem Krieg kommt etwas Existentielles in den Expressionismus. Er wird reifer und ernster, glaubwürdiger im Ganzen. Und erst damit wird er zur Sprache einer vom Krieg traumatisierten Generation, zum Stil der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts.

INTERVIEW: MAXIMILIAN PROBST

Die Ausstellung „Der Erste Weltkrieg und die Kunst“ ist noch bis zum 15. Juni 2008 im Oldenburger Augusteum zu sehen.