Ein Mann zeigt, was er hat

Haarpflegekonzern-Millionen-Erbe Thomas Olbricht hortet, was ihn hormonell in Wallung bringt: Kunst oder Naturalien, gleichviel. Mit der Ausstellung „Go for it“ präsentiert die Bremer Weserburg einen Teil seiner Schätze und verspricht, das moralische Empfinden zu verstören. Richtig interpretiert, wird Russ Meyers Tittenoptik etwas ganz Heiliges

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Jugendgefährdend?! Das Zettelchen liegt an der Kasse. Es ist ein Warnhinweis, aber dafür ist er reichlich verschämt angebracht. Man müsse sich darauf gefasst machen, ist ihm zu entnehmen, dass „Werke der Ausstellung ‚Go for it‘ das moralische Empfinden verstören oder gar religiöse Gefühle verletzen“. Zu sehen ist die im Neuen Museum Weserburg, Bremen, und sie rekrutiert sich aus den vom Wella-Erben Thomas Olbricht erlegten, Pardon!, gekauften Werken, Kunstgegenständen und Naturalien.

Und das ist eine eher zu eng gefasste Umschreibung: Die Palette reicht vom vertrockneten Frosch auf einer lädierten Grabplatte – Zufall? – über einen Original-Schrumpfkopf, ein Blumenstillleben des zweitklassigen Altniederländers Hermann Henstenburgh, bis hin zu einer monumentalen, 2007 vom belgischen Kunst-Star Wim Delvoye entworfenen Nirosta-Kapelle im Flamboyant-Stil der Spätgotik.

Wie? Ob denn da nicht noch ein Plätzchen frei wäre für Film-Bilder aus Russ Meyers Titten-Epen der 1960er-Jahre? Aber klar doch. Da sind wir generös. Eine halbe Wand, schwarz gerahmt, nur leider in etwas dezenten Formaten. Aber im Grunde gilt: Der Jäger und Sammler Olbricht lässt nichts aus. Außer vielleicht: Konzeptkunst.

Als Wunderkammer hat Kurator Peter Friese die Schau aufgebaut. Sie integriert die Rekonstruktion eines solchen, dem barocken Geschmack nachempfundenen, Kunst und Naturalien-Kabinetts. Das ist, chronologisch, der Vorgänger des heutigen Museums. Aber doch eigentlich etwas diesem schroff Entgegengesetztes.

Ein Kunstmuseum sammelt, bewahrt und erforscht Kunst und es stellt sie aus. Das Naturkundemuseum macht das mit Getier und Pflanzen. Das Briefmarkenmuseum – okay, okay, das wäre geklärt.

In der Wunderkammer wird nicht geforscht, sondern gestaunt. Über die ausgestellten Wunder. Grundidee der Kunst- und Naturalienkabinette: Das Universum ist ein All-Zusammenhang, folglich ihr eigener Mikrokosmos, ein Modell des Makrokosmos.

Und der wiederum ist die Wunderkammer des „allergrößten Monarchen der Welt“, so schrieb es der Hamburger Gelehrte Eberhard Happel in seinem Wunderkammerführer von 1687. Also Gott. Die Schöpfung dient seiner Verherrlichung. Sie kündet von seiner unendlichen Potenz, ganz wie das Kunstkabinett vom Ruhm des jeweiligen absoluten Herrschers. Also in diesem Fall von dem des Haarpflegekonzern-Millionen-Erben Olbricht.

Mineralien, Tierpräparate, etliche Korallenbäumchen und Werke von 63 Künstlern sind in Bremen ausgestellt. Deren Namen können in diesem System keine große Rolle spielen, ihr Kontext und ihr Wert noch viel weniger. Klar sammelt einer wie Olbricht kein billiges Zeug. Aber die Hauptsache scheint zu sein, dass der Kram sich mittels Ähnlichkeitsbeziehungen sortieren lässt – also beispielsweise: mittels dem Schädelmotiv.

Man begegnet Totenschädeln mit und ohne Blumen, aus früher Neuzeit, Moderne und Gegenwart. An einem Silberbäumchen – eine Goldschmiedearbeit der Chapman Bro’s – baumeln Gerippe, und nebendran steht Gevatter Tod, der die Peitsche schwingt: Er treibt damit ein Einhorn-Pony an. Verheerender Kitsch also und große Kunst, alles dicht beieinander, wie hingeschissen, wenn auch geruchsneutral und ordentlich zusammengefegt.

Kunsthistoriker sagen zu so etwas: Das ist aber mal ein barocker Ansatz für eine Sammlung! Psychologen würden wohl das nachträgliche Ausleben einer analen Phase vermuten. Olbricht selbst ist Mediziner. Er diagnostiziert, dass sein „Umgang mit moderner Kunst“ durch ein vom „hormonellen System“ erzeugtes „Besitzenwollen-Gefühl“ geprägt sei. Das, weil ja das Kleingeld stimmt, schnell vom „Schauer des Erworben-Habens“ abgelöst wird.

Die Trieb geleitete Kaufstrategie findet in der Sammlung ihren Niederschlag in einem Überhang von Kolossalformaten und einem üppigen Erotica-Anteil, manchmal in beidem zugleich: Da ist zum Beispiel eine Domina mit Engelsflügeln in Öl, neben der, den Kopf in Muschihöhe, eine blonde Männerphantasie kauert. Fragen Sie mich nicht von wem, und erst recht nicht wie’s heißt: Es ist vor allem riesengroß und breit gerahmt.

Zwar hat Kurator Friese das dringende Bedürfnis, die naturalistische Selbstbeschreibung des Sammlers zu relativieren – er vermutet Ironie – und auch behauptet er einen „substanziellen Unterschied“ zwischen Porno und Kunst. „Das gibt einen Unterschied“, sagt er, und was Olbricht da habe, versteht sich, ist ihm natürlich Kunst.

Aber Friese outet sich auch und fast im gleichen Atemzug als „katholisch erzogen“ – womit seine These sich leicht auf die moralischen Skrupel eines Ex-Messdieners und eine Reminiszenz der Lehre von der Transsubstantiation reduzieren lässt. „Der Unterschied besteht im anderen Reflexionsniveau“, versucht er eine Erklärung. Aber klar doch: Die Gedanken machen aus Russ Meyers Tittenoptiken etwas ganz Heiliges, Kunst eben, ganz so wie die Worte der Wandlung das Brot zu Fleisch und den Messwein zu Blut. Ein Geheimnis für die einen, gehobener Schwachsinn für die anderen.

Womit man auch in der Abteilung Sakrales wäre, denn, wie durch die Erwähnung der Edelstahlkapelle schon angedeutet, die gibt’s auch. Eine Pietà mit bunt tätowiertem Jesus hängt neben dem Kirchlein.

Hinter ihm sticht eine etwa drei mal vier Meter große Tuschzeichnung eines gewissen Ralf Ziervogel ins Auge. Der hat beträchtliche Fantasien vor allem in Bezug auf Folterszenarien entwickelt, bei denen sämtliche bekannte und unbekannte Körperöffnungen sowie ausdrucksvoll geformte Schwänze die Hauptrollen übernehmen. Dazu hätte man noch einen Hieronymus Bosch hängen können. Aber die Wand ist ja auch so schon voll.

Also in den nächsten Raum, wo sich Arbeiten von Richard Prince finden. Der hat es Olbricht offenbar besonders angetan, was ein bisschen Individuation gestattet. Zu sehen sind: 1.) ein Readymade, nämlich ein Schwesternhäubchen unter Glas, 2.) das Großgemälde Nurse Forrester’s Secret und 3.) eine Collagen-Serie.

Die Klebebilder rekrutieren sich aus Magazinen mit Titeln wie Lesbian Nurse, wobei farbiges und schwarz-weißes Fotomaterial apart kombiniert wurde und der Künstler die ausgebreiteten Beine – Stichwort Reflexionsniveau – liebevoll ausgeschnitten und dann ordentlich angeleimt hat.

Wahrscheinlich ist es nicht in Princes Sinn, die Spreizmösen sittlich zu rechtfertigen. Friese bemüht sich trotzdem. „Die Krankenschwester“, klärt er auf, „ist ja ein Topos.“ Oha! Wie gelehrt! Und wie überaus überzeugend! Auch der Klempner ist ein Tópos – das ist griechisch und heißt: Gemeinplatz.

Einen Unterschied zwischen Pornografie und Kunst gibt es ebenso wenig wie einen zwischen Landschaftsmalerei und Kunst. Es kann ihn nicht geben. Und völlig undenkbar ist er im Medium der Wunderkammer, die nicht differenziert, sondern integriert, sprich: wunderliche Verwandtschaften mittels optischer Analogien behauptet.

Wen das moralisch verstört, dem sei die Erregung gegönnt. Denn auch Olbricht inkorporiert seiner Sammlung schließlich nur, was ihn „durch einen visuellen Reiz“ ergreift, und zwar „plötzlich“ – sprich: per Schock. Schocks aber wirken nur, wenn sie stetig stärker und immer drastischer werden. Eine Überbietungsmechanik ganz wie im Splatter- und im Hardcore-Pornofilm, die – und das vermittelt „Go for It“ wirklich gut – sehr, sehr schnell ermüdet.

Einem Werk nur gelingt es, dieser stumpfen Dynamik zu entkommen. Ein Eindruck bewegt über den Tag hinweg. Es ist eine plastische Assemblage des Duos Elmgreen und Dragsett: Eine wächserne Frau, täuschend echt, in Galeristinnenkostüm und in einer Pose tiefster Verzweiflung über eine Holzkiste gebeugt: eine Kunsttransportbox.

Auf ihrer Seitenwand machen schwarz gestempelte Buchstaben und Pfeile klar: Sie steht auf dem Kopf. Trotzdem lässt sich das Wort „Fragile“ gut lesen: Fragile heißt zerbrechlich. Und die linke untere Ecke der Kiste ist geplatzt, Styropor-Plättchen rieseln hervor.

Die Wachsfrau empfängt den Besucher. Und der Kunstfreund begegnet ihr wieder beim Verlassen der Ausstellung. Vielleicht teilt er nun ihre Verzweiflung: Darüber, dass der kostbare Inhalt der Kiste beschädigt sein muss. Das ist, genau genommen, ein sogar recht tröstlicher Schmerz. Viel grausamer ist ja der realistische Blick: Denn aller Wahrscheinlichkeit nach ist diese Kiste völlig leer.

bis 31. Dezember 2008, Neues Museum Weserburg, Bremen