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Archiv-Artikel

„Virtuelles Problem“

Ausländische EhegattInnen gelangen kaum noch nach Deutschland. Die Verhinderung von Zwangsheiraten und Scheinehen hält Rechtsanwalt Wegner für vorgeschoben

JÖRG WEGNER, Anwalt in Bremen und Hamburg und Vorsitzender des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften (IAF).

taz: Warum ist das neue Zuwanderungsrecht familienfeindlich, Herr Wegner?

Jörg Wegner: Die Zahl der ausländischen EhegattInnen, die nach Deutschland ziehen, sinkt seither drastisch. Nach der Gesetzesnovelle erhielten rund 40 Prozent Menschen weniger ein Visum als zuvor.

Die Bundesregierung sagt, das liege daran, dass die Zuwanderungszahlen seit der Osterweiterung der EU zurückgehen.

Dagegen spricht schon die Tatsache, dass allein bei den TürkInnen ein Rückgang um fast 70 Prozent zu verzeichnen war.

Woran liegt es also?

Die Voraussetzungen für den Familiennachzug auch zu Deutschen sind nahezu unerfüllbar geworden. Es ist nur noch einem kleinen Personenkreis möglich, schon die obligatorischen Deutschkenntnisse nachzuweisen. Die Behörden verlangen ein Zertifikat aus dem Herkunftsland, ausgestellt von einem deutschen Goethe-Institut. Aber Goethe-Institute gibt es nun mal nicht in jedem Land, schon gar nicht in jeder Stadt. Und wenn Menschen aus kleinen, entlegenen Dörfern in Ost-Anatolien Familiennachzug begehren, dann haben die Probleme, einen Sprachtest in Ankara, Izmir oder Istanbul abzulegen. Viele nehmen davon Abstand, überhaupt einen Antrag zu stellen. Der Deutschtest beinhaltet somit auch eine soziale Selektion: Wer über wenig Geld oder Bildung verfügt, hat oft gar keine Chance auf Einreise mehr.

Als die Gesetzesnovelle verabschiedet wurde, hieß es, man müsse Zwangsheiraten und Scheinehen verhindern.

Das ist doch abenteuerlich. Erst einmal müsste man die patriarchalen Strukturen durchbrechen. Mir soll erst einmal jemand klar machen, wie eine Ehefrau sich mit rudimentären Deutschkenntnissen an deutsche Institutionen wenden soll, um dort zu artikulieren, dass sie in einer problematischen Situation lebt. Mit dem hier geforderten Sprachniveau ist das nicht zu schaffen.

Wie sind Ihre Erfahrungen?

Ich kenne Standesbeamte, die sagen, ihnen ist allenfalls eine Scheinehe im Jahr untergekommen. Das zeigt: Die Debatte kreist um ein virtuelles Problem. Das Argument der Scheinehe oder -partnerschaft wird oft in den Verfahren hervorgeholt, wenn andere Versagungsgründe für einen Familiennachzug eventuell nicht ziehen.

Wie weist man eigentlich nach, dass man doch eine ordentliche Beziehung führt?

Bereits nach altem Recht wurden die Partner dann jeweils getrennt befragt, zu allen möglichen privaten und intimen Details. Fehlende Übereinstimmung wurde dann meist als Indiz dafür gewertet, dass sich die Partner zu wenig kennen. Dieser Vorwurf war oft erst vor Gericht zu entkräften, mit Nachweis von Korrespondenz.

Ist die Lage für die Bindestrich-Deutschen mit doppelter Staatsangehörigkeit einfacher?

Nicht unbedingt. Nehmen Sie beispielsweise die Kinder eines Deutsch-Türkischen Paares, die irgendwann in die Türkei gehen, dort leben, einen türkischen Partner kennenlernen, heiraten und mit dem gemeinsam weiter in der Türkei zusammenleben. Irgendwann wollen sie nach Deutschland. Das geht nur, wenn der Lebensunterhalt in Deutschland selbst erwirtschaftet wird und nicht mit Sozialleistungen bestritten wird. Diese Regelung gilt sonst beim Ehegattennachzug zu Deutschen nicht. Ich halte sie für hochgradig verfassungswidrig. Das bedeutet doch: Es gibt eine deutsche Staatsangehörigkeit erster und zweiter Klasse.Interview: Jan Zier